Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
wieherte leise zur Begrüßung, als sie sie sah.
»Ja, du hast recht«, sagte Janie. »Wir sollten abhauen.«
Als sie über die Wiese zurück zu der Straße ritten, hatte die Sonne den Horizont noch nicht ganz erreicht, und der Boden war von einer dünnen Raureifschicht bedeckt. Der Atem des Pferdes kam in kleinen Wölkchen aus seinen Nüstern; Janie stellte ihren Kragen hoch und verbarg zum Schutz vor der Kälte
ihr Kinn darin. Die Stute trabte leicht und schlug von allein eine schnellere Gangart ein. Sie kamen an verlassenen Farmhäusern und baufälligen Scheunen vorbei, die Wetterfahnen verbogen und verrostet. Ein Feld, auf dem einmal der Mais so hoch gestanden war, dass sich eine Basketballmannschaft darin hätte verstecken können, lag brach. Nach einer knappen Stunde verließ Janie die Route 9 und nahm den Weg über die altvertrauten Nebenstraßen, die zum Fluss führten.
Eine weitere Stunde später sah Janie die Brücke.
Sie führte Jellybean auf eine Anhöhe, um eine bessere Sicht zu haben. Dort holte sie das Fernglas hervor und richtete es auf das diesseitige Ende der Brücke. Die Metallgeländer waren rot vom Rost, nachdem sich seit fast zehn Jahren niemand mehr um sie gekümmert hatte. Sie senkte das Fernglas tiefer zu dem Sprengwerk, in dem sich Nest an Nest reihte. Als sie das Fernglas noch tiefer sinken ließ, sah sie die Lager.
Sie verlor den Mut. Auf einmal erinnerte sie sich lebhaft an ihre Angst, als sie mit Tom die Brücke überquert hatte. An den Ufern unterhalb der Brücke drängten sich schon damals die Lager; sie wären beinahe umgekehrt, weil es ihnen zu gefährlich erschien, sie zu passieren. Durch die Gnade irgendeiner unsichtbaren gütigen Macht waren sie dann aber nahezu unbeschadet über die Brücke gekommen und später auch wieder zurück. Aber das war in der Frühzeit gewesen; wer jetzt noch unter dieser Brücke lebte, war durch die jahrelangen Entbehrungen sicher härter geworden und wesentlich verzweifelter. Und sie war allein, bewaffnet nur mit einem Messer und Pfeil und Bogen, kein Mann war zu ihrem Schutz da, und ihr Pferd konnte von einer Sekunde auf die nächste wieder zu lahmen anfangen.
Leichte Beute.
Die nächste Brücke lag fünfzehn Kilometer weiter nördlich; sie würde dorthin reiten, den Fluss überqueren und dann den ganzen Weg zurückreiten müssen, um die Straße, die über den Berg führte, zu erreichen. Sie suchte das Ufer ab, ob irgendeine
Art Fähre oder Barke zu sehen war, in der irrigen Hoffnung, dass ein neuzeitlicher Unternehmer etwas Derartiges auf die Beine gestellt haben könnte. Für eine Überfahrt würde sie alles geben - alles bis auf Jellybean. Aber es war nichts zu sehen. Zu der Brücke im Norden zu reiten würde einen weiteren Tag unterwegs bedeuten, und diese Zeit hatte sie nicht.
Sie verließ die Straße und ritt zum Fluss, bis an den Rand der Böschung. Das Ufer fiel sanft ab, und der Grund war unter der Wasseroberfläche mehr als zehn Meter weit fast bis in die Mitte des Flusses schemenhaft auszumachen, bevor er sich verlor. Die Brücke befand sich an dieser Stelle, hatte Tom ihr erklärt, weil hier einmal eine Furt gewesen war. Sie starrte in das kalte Wasser. Die Strömung war schnell, wegen der Frühlingsregen und der Schneeschmelze noch schneller als sonst. Aber der Fluss war seicht, an der Furt entlang oft nicht tiefer als einen Meter. In der Mitte würde ihr Pferd allerdings etwa zehn Meter schwimmen müssen, bis es wieder Boden unter den Hufen hätte.
Wenn ich mithelfe und eine Stange zum Staken benutze, während Jellybean schwimmt, könnten wir es schaffen. Sie suchte das Ufer nach einem langen Ast ab und entdeckte einen jungen Baum, der von Bibern gefällt worden war. Man konnte noch die Zahnabdrücke in dem frischen Holz sehen. Das Ende des Stamms war kreisrund zugespitzt, das Markenzeichen der Tiere. Es machte den Eindruck, als hätten die Biber gewusst, dass sie käme, und ihr eine perfekte Stange angefertigt.
Sie sprang vom Pferd und schnitt mit dem Messer die wenigen übrig gebliebenen kleinen Äste von dem Stamm, dann stieg sie wieder in den Sattel. Mit sanftem Zureden brachte sie Jellybean dazu, die Uferböschung hinunterzusteigen. Das Pferd bewegte sich langsam, aber mit erstaunlicher Sicherheit. Sie erreichten das Ufer, und Janie brachte Jellybean zum Stehen.
Beruhigend sprach sie auf das Pferd ein, so als könnte es sie verstehen; sonst war auch niemand da, der sie hätte hören können.
Zumindest dachte sie
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