Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
hereinströmte. »Es ist bereits Morgen. Wir sollten aufstehen. Monsieur de Chauliac möchte zweifellos so bald wie möglich aufbrechen.«
Er wandte den Kopf und stellte fest, dass der schmächtige, stille Soldat ihn anstarrte, doch bevor Alejandro den Ausdruck auf seinem Gesicht deuten konnte, sah er weg.
Sie wuschen sich mit kaltem Wasser, das einer der Stallknechte in einem Bottich gebracht hatte. Der Mann hatte auch einen Sack Äpfel für die Pferde dabei, gab einige davon jedoch Alejandro
und dem Knaben, die sie zum Frühstück verzehrten. Als de Chauliac aus dem Kloster kam, erfrischt durch den Schlaf in einem weichen Bett und prachtvoll anzusehen in seinem roten Gewand, warteten seine Reisegefährten bereits auf ihn.
Der Franzose warf einen raschen Blick in Alejandros Richtung. Als sich ihre Augen trafen, nickte er seinem Kollegen kurz zu, und Alejandro erwiderte den Gruß verstohlen. Dann sah der Franzose zu den Soldaten und ließ seinen Blick zu Alejandros Überraschung einen Moment lang auf dem schmächtigen Mann ruhen, der sich in der Nacht zuvor von den anderen abgesondert hatte.
Er traut ihm ebenfalls nicht!
Das Banner hob sich einem düsteren, bedrohlichen Himmel entgegen, und sie nahmen darunter Aufstellung. Sie reisten unter dem Schutz Gottes und des Papstes. Alejandro konnte nur hoffen, dass das ausreichen würde.
Kate stand auf dem Balkon vor den Frauengemächern des Schlosses. Unter ihr lag die Kapelle, das schindelgedeckte Dach keine sieben Meter entfernt.
Eine große Höhe, aber nicht unmöglich, wenn man irgendeine Art von Seil zur Verfügung hatte …
Und wohin würdest du dann gehen?
Von der Stelle, an der sie stand, bot sich ihr ein herrlicher Ausblick auf die Landschaft. Hier und da stiegen Rauchfahnen auf; unter jeder davon brannte ein Herdfeuer. Auf der Kuppe eines Hügels stand ein Apfelbaum; vor vielen Jahren, als sie diese Aussicht gemeinsam genossen hatten, hatte Alejandro ihr versprochen, an einem von dessen starken Ästen eine Schaukel für sie aufzuhängen. Sie dachte an die Bauern, die in den Katen in der Umgebung wohnten. Die meisten davon waren als Hörige an Windsor gebunden. Sie unterschieden sich gewiss nicht sehr von den Leuten, denen sie nördlich von Paris begegnet war, als sie sich mit Alejandro dort versteckt gehalten hatte. Über den Herdstellen hingen Kessel, in denen Rüben
gekocht wurden, von einem der Dachbalken hing vielleicht ein Fasan oder eine Gans, bestimmt für ein besonderes Festmahl. Die Hausfrau besaß einen groben Besen - wahrscheinlich von ihr selbst gebunden -, den sie energisch schwang, um Mäuse und Ratten zu vertreiben oder um die Matte zu klopfen, falls sie das Glück hatte, eine zu besitzen. Im Sommer wimmelte das Stroh auf ihrem Lager von Ungeziefer, und im Winter war es feucht, und wenn es endlich durch einen neuen Ballen ersetzt wurde, gab man es dem Vieh zum Fressen, um nur ja nichts zu vergeuden. Im besten Fall war es ein schweres und entbehrungsreiches Leben voller Unwägbarkeiten.
Und jetzt schlafe ich in Seide, ich rühre niemals einen Besen an, und ich nehme die feinsten Speisen zu mir. Aber, ach, die Freiheit …
Der wunderbare Ausblick war vor allem bei Sonnenuntergang beeindruckend. Sie ließ den Blick umherschweifen und fand ein wenig Frieden. Sie hoffte, dass dieser Moment in ihrer Seele nachwirken würde.
»Guten Abend, Lady Kate.«
Sie drehte sich um und sah Geoffrey Chaucer nur wenige Schritte von ihr entfernt stehen. Er war ein hübscher Bursche mit einem offenen Gesicht, das von hellbraunen Locken umrahmt wurde. Er trug einen blauen Mantel mit weiten, an den Handgelenken gerafften Ärmeln. In der Hand hielt er einen kleinen Strauß Blumen. Er machte eine tiefe Verbeugung, dann trat er lächelnd auf sie zu.
»Guten Abend, Master Chaucer.« Sie nahm den dargebotenen Strauß entgegen. »Was für schöne Blumen - wie reizend von Euch!«
»Schönheit, wem Schönheit gebührt«, sagte er. »Wer sonst als Ihr sollte sie empfangen?«
Kate sog den Duft der Blüten ein. »Eure Einladung zu diesem Stelldichein bereitete mir große Freude.« Sie trat einen Schritt näher zu ihm und senkte die Stimme. »Wie Ihr vielleicht wisst, bin ich begierig darauf, etwas über die Historie zu erfahren, da
sie sich wiederholen muss, wenn man nichts aus ihr lernt. Das sagt jedenfalls mein Père, der ein sehr kluger Mann ist.«
Chaucer nahm ihre Hand. Er zog sie an die Lippen und drückte mit Inbrunst einen Kuss darauf. »Damit meint Ihr
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