Alera 01 - Geliebter Feind
ich fühle mich zu jemand anderem … hingezogen.«
»Du fühlst dich zu jemand anderem hingezogen ?«,wiederholte er ungläubig und spielte nervös mit seinem Ring. »Und wer ist dieser Jemand?«
»Das möchte ich nicht sagen. Aber schon die Tatsache an sich lässt doch vermuten, dass Steldor nicht die ideale Partie für mich ist.«
Ich betete, dass er meinen letzten Satz nicht als Respektlosigkeit auffassen mochte. Jedenfalls nahm mein Vater das Geständnis nicht gut auf.
»Das ist doch lächerlich, Alera. Wenn du mir nicht sagen willst, wer der junge Mann ist, dann muss ich annehmen, dass es sich um jemand handelt, den ich nicht gutheißen würde. Und in diesem Fall bekämst du ohnehin keine Erlaubnis, ihn zu heiraten. Wenn dieser Mann nicht die nötigen Eigenschaften besitzt, um mein Nachfolger zu werden, dann ist es völlig unerheblich, ob du dich zu ihm hingezogen fühlst. Du musst schließlich einen König heiraten.«
»Ich flehe Euch an, Vater, gebt mir noch ein wenig mehr Zeit.«
Er musterte mich einen Moment lang kritisch, dann lehnte er sich mit einem tiefen Seufzer zurück.
»Gewährt. Aber ich erwarte, dass du diese Zeit auf kluge Weise nutzt. Jetzt sind es noch sechs Monate bis zu deinem Geburtstag, der zugleich dein Hochzeitstag sein wird, also brauchen wir eine Entscheidung hinsichtlich deines Ehemannes.« Dann tadelte er mich streng. »Es ist Steldor gegenüber unfair und hinterlistig, ein so kostbares Geschenk wie diese Kette anzunehmen, wenn man zwei Herzen in der eigenen Brust schlagen fühlt.«
Mein Vater erhob sich, um zu gehen, doch dann sah er mich noch ein letztes Mal an. Dabei ließ seine ungewöhnlich strenge Miene ihn älter wirken. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie stark ergraut sein dunkelbraunes Haar inzwischen bereits war. Ich verstand jetzt,warum er so auf meinen Geburtstag fixiert war. Achtzehn war das traditionelle Heiratsalter einer Thronerbin und zugleich der frühestmögliche Zeitpunkt der Krönung eines Nachfolgers. Mein Vater war offenbar fest entschlossen, dieser Tradition zu folgen.
»Alera, trotz dieser anderen Person wirst du Steldor die Ehre erweisen, während des Turniers und beim Festmahl am Vorabend als dein Begleiter aufzutreten.«
Die Schritte meines Vaters klangen deutlich gedämpfter, als er das Zimmer verließ. Nachdem ihr Geräusch auf dem Flur verklungen war, schossen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf, aber seltsamerweise trieb mich am meisten der Schaukampf um, den mein Vater erwähnt hatte. Warum hatte Steldor sich dafür gemeldet? Seine Meinung von Narian war für mich kein Geheimnis und konnte auch dem Hauptmann nicht verborgen geblieben sein. Cannan musste ihm trauen, doch ich konnte nicht glauben, dass Steldor ganz ohne Hintergedanken in diesen Schaukampf ging.
Ich sah Miranna an, die nervös mit ihren rotblonden Locken spielte, und wusste, dass sie ähnliche Überlegungen anstellte.
»Jetzt kämpfen die Männer tatsächlich um dich«, sagte sie.
Ausrufer und Herolde, die man vor ein paar Wochen ausgeschickt hatte, um den einwöchigen Markt und das Turnier anzukündigen, kehrten in den darauffolgenden Tagen zurück. Händler aus den umliegenden Königreichen trafen mit ihren Waren ein. Jeder, der etwas feilbieten wollte, musste sich beim Marktsaufseher melden, eine Gebühr bezahlen und bekam dann einen Platz für einen Verkaufsstand zugewiesen. Die Gasthäuser begannen sich zu füllen, und in den Tavernen blühtendie Geschäfte, während die Spannung auf ihren Höhepunkt zusteuerte.
Am Morgen des ersten Markttages war das Wetter frisch und kühl. Miranna und ich kämpften uns durch die versammelte Menge hin zur Festwiese, wo sonst der Wochenmarkt abgehalten wurde. Von hier bis zum Militärgelände und im Norden bis an den Palast hin standen überall Zelte. Ein lächelnder Halias und ein grimmiger Destari begleiteten uns. Diesmal allerdings in Uniform und stets dicht neben uns, da in der wogenden Menge Schutz gegen Rempeleien und Diebe geboten war.
Wir wanderten zwischen den Zelten umher, und fröhlicher Lärm drang an unsere Ohren. Ein vielstimmiger Chor aus Lachen, Schreien und Feilschen. Manchmal stach ein ungewöhnlicher Akzent oder eine fremde Sprache heraus, oder die melodischen Töne eines Sängers oder Musikanten. Ich legte den Kopf schräg und meinte, einen cokyrischen Akzent vernommen zu haben. War Narian vielleicht in der Nähe? Es schien mir möglich, da er seit dem Tag von Semaris Fest in der Stadt wohnte, aber ich
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