Alera 01 - Geliebter Feind
dir die Art Waffen, die ich trage, unbekannt sind«, fuhr er fort und man merkte, wie unangenehm ihm dieses Thema war. »Einmal habe ich dich gefragt, ob du Angst vor Steldor hättest. Vielleicht sollte ich dich jetzt fragen, ob du dich vor mir fürchtest.«
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. »Mein Verstand sagt mir, dass ich das sollte, aber ich tue es nicht.«
»Ich würde dir nie ein Leid zufügen, Alera.«
Seine hypnotisierenden blauen Augen hielten meine fest, dann schaute er weg, als hätte er etwas Ungehöriges gesagt.
»Abgesehen davon, dass du mich vom Pferd reißt«, scherzte ich.
In seinen Augen blitzte ein Lächeln auf, und sein Pferd schnaubte, als wäre es gekränkt. Er tätschelte ihm den Hals, bevor er mit einer Handbewegung andeutete, wir sollten besser zur Kutsche zurückkehren.
»Und wie steht es zwischen dir und deinem Vater?«, fragte ich zögernd, nachdem wir ein paar Schritte gegangen waren.
»Koranis fürchtet seinen eigenen Sohn«, sagte Narian verächtlich. »Er möchte, dass der Gardehauptmann mich in die Militärakademie steckt. Bis dahin soll ich in seiner Stadtvilla wohnen. Noch heute Abend soll ich mit Cannan aufbrechen. Koranis hat mir höchstpersönlich beim Packen zugesehen, um sicherzugehen, dass ich nichts mitnehme, was mir nicht gehört.« Er sah mich von der Seite an und wirkte nicht mehr ganz so gefasst. »Das bedeutet natürlich, näher am Palast zu wohnen.«
Ich antwortete nicht darauf, weil ich mir nicht sicher war, was er damit meinte, obwohl mein Herzschlag sich beschleunigte. Ich hoffte, er würde das noch näher ausführen, aber stattdessen wechselte er das Thema.
»Du schienst Steldors Gesellschaft heute Abend nicht zu genießen.«
Ich dachte nicht lange darüber nach, wie er mich mit ihm gesehen und noch dazu meine Gefühle dabei wahrgenommen haben konnte. Langsam gewöhnte ich mich offenbar an seine scharfe Beobachtungsgabe.
»Ich genieße Steldors Gesellschaft nie«, sagte ich lachend.
»Warum erträgst du ihn dann überhaupt?«, erwiderte Narian und schien von meiner Lockerheit verwirrt und enttäuscht.
»Mir bleibt nicht wirklich eine Wahl«, sagte ich und vertraute darauf, dass er meine komplizierte Situation verstünde.
»Du hast immer eine Wahl.«
Seine Worte klangen unverblümt und mitleidlos. Ich starrte ihn nur an, während wir uns wieder der Kutsche näherten, und hatte nicht die leiseste Ahnung, was er damit meinte.
»Ich bin mir sicher, dass Steldor meine Abwesenheit inzwischen bemerkt hat. Daher sollte ich mich besser beeilen, bevor er mir nacheilt.«
»Das dürfte ihm schwerfallen, nachdem ich mir sein Pferd geliehen habe.«
»Geliehen?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf und sah zu, wie er das prächtige Tier bestieg.
»Gute Nacht, Prinzessin«, sagte Narian grinsend und galoppierte in Richtung von Koranis’ Anwesen in die Dunkelheit.
22. ZWEI HERZEN IN EINER BRUST
»Jetzt verrat mir schon, ob Temerson sich irgendwann getraut hat, dich zum Tanz aufzufordern?«
Es war die erste Gelegenheit seit Semaris Geburtstagsfest vor fünf Tagen, bei der meine Schwester und ich allein zusammensaßen. Wir befanden uns in meinem Salon, ich auf dem Sofa, sie in einem Sessel daneben.
»Nein.« Miranna kicherte. »Aber Perdic, sein achtjähriger Bruder hat sich getraut.«
Ich musste mit ihr lachen, als ich mir Temersons Gesicht vorstellte: Sein kleiner Bruder bat eine Prinzessin zum Tanz, während er in ihrer Gegenwart kaum einen vollständigen Satz herausbrachte.
Miranna und ich verbrachten den Nachmittag zusammen und bestickten die Taschentücher, die wir vor dem Turnier verschenken würden. Wir hatten bereits Mitte Oktober, und der Himmel war grau und verhangen. Die Wärme der brennenden Scheite im Kamin war uns mehr als willkommen.
Es war Tradition, dass jede Prinzessin im heiratsfähigen Alter sich einen Begleiter für das Turnier und das Abendessen am Vorabend wählte, indem sie dem von ihr favorisierten jungen Mann ein selbstbesticktes Taschentuch sandte. Miranna und ich konnten sticken, was immer uns gefiel, doch ich hatte seit dem ersten Mal mit fünfzehn Jahren immer nur meinen Namen in eine Ecke gesetzt. Mirannas Verzierung war kunstvoller und origineller, aber sie stickte auch sehr viel lieber als ich.
»Ich habe ein paarmal mit Perdic getanzt«, fuhrMiranna fort, und bei der Erinnerung an das Fest bekam sie glänzende Augen. »Er ist ein wirklich süßer Junge, und viel mutiger als sein Bruder. Zayle, der den Großteil des
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