Alera 01 - Geliebter Feind
wollen?«
Sein Gesicht wurde wieder ausdruckslos. Die kurze heftige Gefühlsregung war vorbei, er hatte sich wieder ganz im Griff. Verzweifelt drehte ich mich um und wollte gehen, da fasste er mich am Arm. Bevor ich reagieren konnte, legte er den anderen Arm um meine Taille, zog mich an sich und versenkte seine strahlend blauen Augen in meine. Während mein Herz heftig schlug, legten sich seine Lippen auf meine. Erst sanft, dann drängender, und ich ergab mich seiner Umarmung. An ihn geschmiegt legte ich meine Hände auf seinen Rücken, und alle Vorsicht verließ mich. Nach einigen Augenblicken lösten sich unsere Lippen zögernd voneinander, und kurz lehnte er noch seine Stirn an meine. Dann trat er zurück und legte die Hände auf meine Hüften.
»Ich werde dir niemals wehtun«, versprach er.
Meine Vernunft meldete sich zurück, ich riss mich von ihm los und stürzte aus dem Zelt, erschrocken über die Leidenschaft, die zwischen uns aufgelodert war.
Destari musterte mich wegen meines hastigen Aufbruchs misstrauisch, sagte jedoch nichts, sondern führte mich nur zurück zur Königsloge, wo die Preisverleihung bereits im Gange war. Normalerweise wäre es meine Aufgabe gewesen, dem König bei dieser Zeremonie zu helfen, doch in meiner Abwesenheit war Miranna für mich eingesprungen. Ich näherte mich der Loge und fürchtete mich bereits vor dem Zorn meines Vaters wegen meiner Pflichtvergessenheit. Doch er warf mir nur einen verständnisvollen Blick zu und schien zu glauben, ich hätte Steldor aufgesucht. Ich stieg die Stufen hinauf und begab mich an Mirannas Seite, die mich nur neugierig ansah, aber zu beschäftigt war, um irgendetwas zu sagen. Lanek gab die Namen und Leistungen der Gewinner bekannt, der König verteilte Beutel mit Goldstücken, und Miranna und ich händigten kostbare Figuren aus. Die Sieger im Bogenschießen (darunter auch Galen, der den Ruf eines exzellenten Bogenschützen genoss), Messer- und Axtwurf erhielten Falken aus Ebenholz. Die Ersten des Pferderennens bekamen vergoldete Pferdefiguren. Den Gewinnern der Zweikämpfe wurden goldene Pokale überreicht.
Nach dem Ende des Turniers kehrte ich mit meiner Familie in den Palast zurück. Weil sie wohl spürte, wie durcheinander ich war, ersparte Miranna mir jegliche Frage, wofür ich ihr dankbar war. Ich ließ mich für das kleine Abendessen entschuldigen, das mein Vater für die Sieger zu geben pflegte. Als Begründung schützte ich Erschöpfung vor und zog mich in meine Gemächer zurück, denn ich sah mich außerstande, Feierstimmung vorzutäuschen.
Ich bereitete mich auf das Zubettgehen vor und sehnte mich nach Schlaf, doch mich quälten schreckliche Gedanken über Narian und die Legende vom blutenden Mond. Schließlich war Narian vom Overlord mit dem Vorsatz aufgezogen worden, meine Heimat und alles, was mir lieb und teuer war, zu zerstören. Narian behauptete zwar, Hytanica nichts Böses zu wollen, aber hatte er überhaupt eine Wahl? So wie es meine Bestimmung war, als Kronprinzessin Königin zu werden, war es wohl seine, die Legende vom blutenden Mond wahr zu machen.
Während ich im Geiste alle Fakten wieder und wieder durchging, legte ich zwei Finger an meine Lippen und erinnerte mich an seinen Kuss. Ich hatte mich in seinen Armen so unbeschreiblich glücklich gefühlt. Wie konnte jemand mit einem so grauenerregenden Schicksal nur so zärtliche Gefühle in mir wecken? Und wie konnte ich mich nach der Gesellschaft von jemand sehnen, der dazu verdammt war, mein Feind zu werden?
Weil ich auf diese beunruhigenden Fragen keine Antwort wusste, versuchte ich, mich in den Schlaf zu flüchten. Doch der stellte sich nur schwer ein und schenkte mir keine Ruhe.
25. ES IST SCHWER, KÖNIG ZU SEIN
Die Wachen öffneten die Tür zum Vorzimmer und Steldor trat heraus. Er machte eine großartige Figur in seiner langärmeligen schwarzen Uniformjacke aus Leder, mit seinem unverwechselbaren Langschwert an der linken und einem Dolch an der rechten Seite. Mit sicherem Schritt, die Augen starr geradeaus gerichtet, begann er den langen Weg mitten durch den Thronsaal auf die Königsfamilie zu. Die einzigen Laute waren das Geräusch seiner Schritte auf dem Steinboden und das Knistern der Scheite in den Kaminen an der rechten und linken Wand des Raumes. Meine Eltern saßen auf ihren Thronen, dahinter die Leibgarde meines Vaters in der üblichen Formation. Miranna und ich hatten zur Linken meiner Mutter Platz genommen, Halias und Destari standen neben uns. Alle
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