Alera 01 - Geliebter Feind
der uns altersmäßig näher war, bot sich im Übrigen derart eifrig an, dass er trotz seines niedrigeren Ranges Halias vorgezogen wurde. Mit dieser Entscheidung waren weder ich noch Halias besonders glücklich, aber da der König es zufrieden war, konnte keiner von uns etwas dagegen unternehmen.
Auf Geheiß meines Vaters sprach meine Mutter mit den Köchen, die eine Liste mit Vorschlägen anzufertigen hatten, aus denen wir unser Mittagessen unter freiem Himmel auswählen sollten. Die Karte, die man mir brachte, war seitenlang, und ich entschied mich für die ersten paar Speisen, die mir ins Auge fielen, da ich keine Lust hatte, alles durchzugehen.
Als endlich der Tag unseres Picknicks nahte, war ich es schon so leid, davon zu hören, dass ich mir nur noch wünschte, es wäre bereits vorbei. Mirannas Begeisterung dagegen war ungebrochen, und ich führte sie in erster Linie auf ihre Schwäche für Steldor zurück.
Es war die dritte Juliwoche und der Tag versprach heiß zu werden. Miranna und ich hatten beschlossen, lange, weite Röcke und kurzärmelige weiße Blusen zu tragen. Ich hatte mein Haar zu einem langen Zopf geflochten, der mir auf den Rücken fiel, während Miranna ihres tief im Nacken zu einem schlichten Zopf zusammengefasst hatte, wie auch Halias das manchmal mit seinem machte.
Wir verließen den Palast am Vormittag in einer leichten Kutsche aus dem königlichen Marstall, die von zwei prächtigen schwarzen Pferden gezogen wurde. Die Kutsche besaß einen hohen hölzernen Bock über den Vorderrädern, auf dem üblicherweise der Kutscher saß, sowie eine gepolsterte Sitzbank mit Blick nach vorn über den Hinterrädern. Die Kutsche lag ziemlich tief, was das Einsteigen erleichterte.
Da Steldor höchstpersönlich kutschierte, hatte man vermutet, ich wolle neben ihm sitzen, und mir daher ein Kissen auf die ansonsten einfache Bank gelegt. Mein Begleiter war leger, aber dennoch elegant gekleidet, in ein weißes, doppelreihig geknöpftes Hemd mit Knöpfen und Borten aus Gold sowie eine schwarze Reithose. Seine eleganten schwarzen Stiefel waren den hohen Schafthinauf jeweils mit einem halben Dutzend silberner Schnallen verziert. Das Hemd bildete den perfekten Kontrast zu seinen dunklen Haaren und Augen und war zweifellos mit der Absicht gewählt worden, den Pulsschlag jeder Frau in Sichtweite zu beschleunigen. Ich ertappte mich sogar selbst dabei, wie ich ihn anstarrte, als er unsere Picknickutensilien auf dem nach hinten gerichteten Notsitz befestigte.
Mirannas Begleiter war ein gedrungener junger Bursche namens Temerson, der in Größe und Augenfarbe gut zu mir gepasst hätte, aber zimtbraunes Haar besaß. Er trug die übliche Uniform der Militärakademie: braune Tunika und Schärpe, und sah neben Steldor schrecklich armselig aus. Dabei hätte man ihn, wenn er nicht dem direkten Vergleich ausgesetzt gewesen wäre, durchaus als süß bezeichnen können.
Miranna und Temerson nahmen auf der hinteren Sitzbank Platz, während Tadark auf seinem eigenen Pferd neben uns herritt. Die Hufe der Pferde schlugen fröhlich aufs Pflaster, während wir die Stadt auf der Hauptstraße durchquerten. Im Westen lag das Marktviertel, im Osten das Viertel der Geldwechsler und -verleiher, der Tavernen und Gasthäuser, der Ärzte und Barbiere, die dort eifrig ihren Geschäften nachgingen. Weiter entfernt von der breiten Hauptstraße waren Kirchtürme, der Kornspeicher und zahllose Wohnhäuser zu sehen. Vor uns erhob sich die zehn Meter hohe Mauer, die die gesamte Stadt umgab. Wachtürme befanden sich links und rechts des Tores sowie in regelmäßigen Abständen auf der gesamten Länge. In der Stadt lebten etwa fünfzehntausend Menschen. Dazu kamen noch geschätzte insgesamt fünfundzwanzigtausend aus den Gehöften und Dörfern in der hytanischen Provinz.
Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, wurde aus der Hauptstraße eine unbefestigte Landstraße, die sich durch die Landschaft schlängelte und zur einzigen Brücke über den Fluss Recorah führte. Bald bogen wir nach Osten auf eine schmalere, weniger befahrene Straße ab, denn wir steuerten ein stilles Fleckchen an einer Biegung des Flusses an. Dort spendeten Bäume angenehmen Schatten, und das breit und schnell dahinfließende Wasser sorgte für eine kühle Brise. Selbst in flottem Trab würden wir gute zwei Stunden brauchen, um unser Ziel zu erreichen.
Der Ausflug hatte gemächlich begonnen, aber es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass die nervtötende Planung des
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