Alera 01 - Geliebter Feind
Verpflichtungen ernster nehmen und keine Zeit damit verschwenden, mich mit Sechzehnjährigen zu unterhalten. Verlegen nestelte ich an den Falten meines Rockes herum und sehnte das Ende dieser Befragung herbei, als Cannan wieder das Wort an mich richtete.
»Ich wünsche, dass Ihr im kommenden Monat noch öfter auf Baron Koranis’ Landsitz zurückkehrt, um Lord Kyenn und seine Familie zu besuchen. Anschließend werdet Ihr mir alles berichten, was Kyenn Euch über Cokyri und seine Jugend dort erzählt.«
Seine offene Bitte oder genauer gesagt sein Befehl verwirrte mich.
»Wollt Ihr damit sagen, ich soll für Euch spionieren?«, fragte ich und spürte, wie mein Magen sich zusammenzog.
»Nein«, antwortete er und schien von meiner Reaktion völlig unbeeindruckt. »Ich möchte einfach, dass Ihr Euch mit ihm beschäftigt und mir jegliche Information weiterreicht, die er Euch von sich aus gibt.«
Die Vorstellung machte mich nach wie vor unglücklich.
»Ich möchte sein Vertrauen nicht missbrauchen«, wandte ich ein, obwohl ich bereits spürte, dass es mir nicht gelingen würde, Cannan umzustimmen.
Der Hauptmann schwieg kurz, als würde er überlegen, ob er mir eine Erklärung schuldete. Als er wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme beschwichtigend.
»Ihr müsst wissen, dass das, was Kyenn Euch bei den beiden kurzen Begegnungen über seine Vergangenheit erzählt hat, mehr ist, als er jedem anderen anvertraut hat. Damit wir ihm trauen können, müssen wir etwas über sein Leben in Cokyri wissen. Wer hat ihn großgezogen? Welche Ausbildung hat er erfahren? Wie erfuhr er von seiner wahren Identität?«
Cannans Ton wurde beharrlicher und seine Augen hielten meinen Blick fest.
»Es ist unerlässlich, dass wir so viel wie möglich über sein Vorleben erfahren. Euch gegenüber scheint er offener zu sein als gegenüber jedem anderen. Diesen Umstand müssen wir unbedingt nutzen.«
Ich nickte und schämte mich fast für meinen kindischen Versuch, mit ihm zu diskutieren.
Cannan erhob sich und stützte, nachdem er die Pergamente beiseitegeschoben hatte, die Hände auf den Schreibtisch. Dann sprach er in eindringlichem Ton zu uns dreien.
»Außer denen, die sich in diesem Raum befinden, und dem König weiß niemand von diesem Plan, und es darf auch niemand davon erfahren.« An mich gewandt fuhr er fort: »Vielleicht möchtet Ihr Prinzessin Miranna einladen, Euch bei Euren Besuchen zu begleiten. Damit niemand Verdacht schöpft, würde ich sogar dringend dazu raten. Allerdings darf sie den wahren Grund dafür nicht erfahren.«
Cannan ließ seinen Blick zu Halias wandern und schwieg einen Moment, um diesen Aspekt besonders zu betonen.
»Das ist alles«, schloss er dann und richtete sich auf. »Ihr könnt jetzt gehen.«
Ich stand auf, und Tadark und Halias schickten sich an, mich in meine Gemächer zu begleiten. Nachdem ich in der Vergangenheit nur wenig mit dem Hauptmann zu tun gehabt hatte, war ich beeindruckt von der Autorität, die er selbst mir, einem Mitglied der Königsfamilie, gegenüber ausstrahlte. Sein Selbstbewusstsein war ganz anders als das seines Sohnes. Steldor wirkte eingebildet, Cannan dagegen entschlossen. Wegen des tiefen Respekts, den ich ihm gegenüber empfand, verbeugte ich mich, bevor ich seinen Dienstraum verließ.
Es war Anfang September, und meine Mutter veranstaltete ein Hauskonzert im Musikzimmer des Palastes. Sie hatte zwei Dutzend adelige Mädchen in Begleitung ihrer Mütter eingeladen, um gemeinsam Gesangsdarbietungen sowie Stücken auf der Harfe und der Flöte zu lauschen. Miranna würde eine der jungen Frauen sein, die ihr Talent an der Harfe zeigten. Mich hatte meine Mutter mit einem solchen Ansinnen verschont. Vielleicht weil sie der Ansicht war, die von mir erfolgreich durchgeführte Organisation des Festes im vergangenen Monat sei erst einmal Anstrengung genug gewesen.
Ich war dankbar, dass diese Zusammenkunft einen bestimmten Zweck hatte, denn so würde nur wenig Zeit für Klatsch bleiben. Mir graute nämlich schon vor den Fragen, die man mir hinsichtlich der Auseinandersetzung zwischen Narian und Steldor vor zehn Tagen gewiss stellen würde.
Das Musikzimmer grenzte an den Salon der Königin und hatte ebenso wie dieser ein Erkerfenster mit Blick auf den östlichen Innenhof. Man hatte Bänke in zwei Reihen davor gestellt, mit Blick auf die Stirnseite desRaumes, wo die Musizierenden sitzen oder stehen würden. Als ich mir einen Platz suchte, warf ich einen Blick nach draußen und
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