Alera 01 - Geliebter Feind
Racheabsicht, doch ihre blitzenden Augen und ihr Zurückweichen zeigten mir, dass sie damit rechnete.
»Alera«, krächzte sie und schlug die Hände vors Gesicht. »Wann bist du …?«
»Ich habe den Kuss gesehen«, sagte ich rasch und ersparte ihr so, den Rest der Frage herauszustottern. Ich war ja nicht wütend auf sie – sie hätte auch wenig tun können, um Steldors unsittliches Betragen zu verhindern. Wie die meisten Mädchen im Königreich war sie außerdem in ihn verliebt, und ihren ersten Kuss von jemand zu bekommen, für den sie schwärmte, war sicher aufregend. Jetzt war sie dafür den Tränen nahe.
»Es tut mir leid! Schrecklich leid! Es war kindisch von mir, ihm schöne Augen zu machen. Sicher habe ich ihm die falschen Signale gegeben. Steldor gehört doch dir – ich hatte kein Recht, ihn zu küssen, dafür hast du jedes Recht, böse auf mich zu sein.«
Meine Schwester schien Steldors wahre Gründe für den Kuss nicht zu sehen und gab sich alle Schuld daran.
»Mach dir keine Vorwürfe, Mira.« Ich versuchte, sie zu beschwichtigen und uns ihre überflüssigenEntschuldigungen zu ersparen. »Steldor gehört nicht mir, und ich habe mir auch nie gewünscht, dass es so wäre. Er kann küssen, wen er möchte. So wie du auch. Du hast keinerlei Grund, dich schuldig zu fühlen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich so schrecklich, Alera. Gibt es irgendwas, das ich tun kann, um es wiedergutzumachen?«
»Noch einmal, ich bin dir nicht böse«, beteuerte ich. »Aber …« Ich überlegte, wie ich es am besten ausdrücken sollte. »Es gibt etwas, das du für mich tun kannst.«
»Was? Ich tue alles für dich. Hauptsache, du schaffst es, mir zu verzeihen.«
»Mira, ich verzeihe dir«, sagte ich und wurde langsam ungeduldig. »Ich brauche Reithosen«, fügte ich noch hinzu.
»Reithosen?«, wiederholte sie und war so erstaunt, dass sie ihre Schuldgefühle wegen Steldor augenblicklich vergaß. »Wozu denn?«
»Narian wird mich in Selbstverteidigung unterrichten«, sagte ich, nachdem ich beschlossen hatte, dass Ehrlichkeit der beste Weg war. »Aber er hat gesagt, das tut er nur, wenn ich Reithosen trage. Deshalb brauche ich deine Hilfe.«
»Er wird dich in Selbstverteidigung unterrichten? Aber sind dazu nicht unsere Leibwächter da?«
Ich musste fast lachen, weil sich die Ansicht meiner Schwester so vollkommen mit dem deckte, was ich Narian bei unserem ersten Besuch auf Koranis’ Gut erwidert hatte.
»Willst du mir jetzt helfen oder nicht?«, fragte ich, weil mir klar war, dass irgendwelche Details ihre Entscheidung nicht beeinflussen, sondern nur ihre Antwort verzögern würden.
»Natürlich will ich das«, sagte sie so unumwunden, wie ich das von ihr erwartet hatte.
»Gut.«
Ich warf einen Blick auf unsere Leibwächter, um sicher zu sein, dass sie sich nach wie vor außer Hörweite befanden, dann zog ich Miranna neben mich auf eine der Gartenbänke.
»Also, die Frage ist, wie wir an eine Hose herankommen. Wir könnten es in der Wäscherei versuchen, aber ich bezweifle, dass mir die Hosen eines Wachmannes oder Dieners passen würden. Und Vaters schon gar nicht.«
»Vielleicht könnten wir Tadarks nehmen«, schlug Miranna unschuldig vor. »Ich denke, seine müssten dir am ehesten passen.«
»Aber wie ziehen wir sie ihm aus?«, platzte ich heraus, woraufhin mir sofort die Hitze in die Wangen stieg.
Miranna starrte mich einen Moment lang an und wurde dann ebenfalls dunkelrot. Kurz darauf brachen wir beide in schallendes Gelächter aus.
»Ich denke, Schwesterchen«, keuchte Miranna schließlich, »es wäre das Beste, ein Paar Hosen zu kaufen.«
»Ja, das wäre sicher am vernünftigsten. Aber wie sollen wir das anstellen? Niemand würde es für schicklich halten, einer Prinzessin Hosen zu verkaufen. Und ich denke, wir könnten auch Halias und Tadark nicht lange über unsere Absicht im Unklaren lassen.«
Miranna zwirbelte geistesabwesend eine Haarlocke, dann begann sie zu lächeln.
»Wir werden einfach jemand den Auftrag geben, sie für uns zu kaufen.«
»Und wem?«
»Keine Ahnung, aber es gibt doch schließlich auf dem Markt genügend junge Burschen, die sich bestimmt gern ein bisschen Geld verdienen, indem sie einen Einkauf erledigen. In drei Tagen ist schon wiederMarkt – klingt das nicht nach einem perfekten Zeitplan?«
Ich nickte und war von der ebenso einfachen wie brillanten Idee meiner Schwester beeindruckt. Fast genierte ich mich ein wenig, weil ich nicht selbst darauf gekommen
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