Alera 02 - Zeit der Rache
sitzen, dann erhob sie sich, um zu gehen.
»Nicht alle Schlachten werden mit Waffen geschlagen, mein Liebes«, sagte sie noch und ihre Stimme klang auf einmal wieder so melodiös, wie ich es lange nicht mehr gehört hatte.
Als ich weiter über den Vorschlag meiner Mutter nachdachte, kam mir auch in den Sinn, dass ich mit einer solchen Einladung sehr effizient gegen den wachsenden Stapel unerledigter Korrespondenz vorgehen konnte. Denn eine Bekannte nach der anderen hatte mir nach dem Verschwinden meiner Schwester geschrieben. Jedes Wort voller Mitgefühl und Bedauern, doch ich hatte mich geweigert, auch nur eine von ihnen zu empfangen. Nachdem mir der Sinn immer noch nicht nach Geselligkeit stand, schien eine Einladung zum Tee jedoch der geeignete Weg, mit der Situation umzugehen.
Und noch aus einem weiteren Grund fühlte sich der Zeitpunkt richtig an. Im Verlauf des Oktobers hätte das Königreich eigentlich von der Vorfreude auf das alljährliche Erntefest samt Turnier erfüllt sein sollen. Angesichts des Krieges fielen die Feierlichkeiten natürlich aus, und so war es der erste Herbst ohne dieses so überaus beliebte Ereignis.
Also entwarf ich die Einladung, schrieb eine kurze Entschuldigung für mein Schweigen und bat den Schreiber, sie am Ende jedes Pergamentbogens hinzuzufügen. Für die Vorbereitungen beraumte ich eine Woche an, in der ich versuchte, mich davon zu überzeugen, dass dieses gesellschaftliche Ereignis mir und allen anderen, die daran teilnähmen, guttun würde, da es einerseits eine willkommen Abwechslung darstellte und andererseits Gelegenheit zur Anteilnahme bot.
Als der Tag und die Stunde der Festlichkeit gekommen waren, begab ich mich zu meinen Gästen in den Teesalon im Westflügel, wo mehrere kleinere Tische mit weißem Damast eingedeckt waren. Das Wetter war sonnig, aber kühl, und im Kamin loderte ein Feuer, um das die meisten sich geschart hatten. Es fühlte sich seltsam an, einem solchen Anlass ohne meine Schwester beizuwohnen und anstelle meiner Mutter Gastgeberin zu sein. Lanek gab mein Eintreffen bekannt, und die Mädchen (oder Damen, denn das waren wir inzwischen wohl alle), knicksten tief, als ich eintrat. Ich nahm ihre neugierigen Gesichter zu Kenntnis und staunte darüber, wie verändert sie mir vorkamen. Von meinen engeren Freundinnen waren Kalem und Reveina zugegen, zwei brünette junge Frauen, die noch ein wenig gewachsen waren und die letzte kindliche Rundlichkeit verloren hatten. Insbesondere Reveina hatte sich zu einer umwerfenden Schönheit herausgemacht, obwohl ich in ihrem Gesicht eine leichte Verfärbung an einer Wange und dem linken Auge bemerkte, die wie eine Prellung aussah. Sie hatte drei Monate zuvor geheiratet, während Kalem einen Verlobungsring trug. Ich wusste allerdings nicht, wem sie versprochen worden war.
Galens Verlobte Tiersia, deren jüngere Schwester Fiara, die mit Steldors Cousin Warrick verheiratet und offensichtlich schwanger war, sowie einige weitere seit Kurzem verlobte oder frisch verheiratete junge Damen von Adel waren ebenfalls anwesend. Ich konnte nicht anders, als einen Blick auf Fiaras wohlgerundeten Bauch werfen und mir vorstellen, wie es wäre, ein Kind zu erwarten. Ich wusste, dass das gesamte Königreich den Tag herbeisehnte, an dem Steldor und ich die Geburt eines Thronfolgers bekannt gäben. Darüber hinaus wären sicher alle neugierig auf Steldors Sprösslinge. Man würde natürlich auf einen Sohn hoffen, der genauso wäre wie sein Vater und Großvater. Mein Magen verkrampfte sich vor lauter Nervosität, weil ich den unsichtbaren Druck und die Augen des gemeinen Volkes auf mir zu spüren glaubte. Gleichzeitig fielen mir Steldors Worte aus unserer Hochzeitsnacht wieder ein: Ob es dir gefällt oder nicht, du hast als Ehefrau und Königin die Pflicht, einen Erben zu gebären . Sofort versuchte ich diese bedrückenden Gedanken zu verdrängen und beschloss, mein Leben lieber von einem Tag auf den nächsten zu leben. Vielleicht käme dann irgendwann einmal der Tag, an dem es mir nicht mehr so widerstreben würde, Steldor in mein Bett zu lassen, oder an dem mir gar keine andere Wahl mehr bliebe, als ihm dieses Recht zu gewähren.
Freundlich begrüßte ich nacheinander all meine Gäste und begab mich schließlich zu meinem Platz an einem der Tische. Die anderen jungen Damen taten es mir nach, setzten sich jedoch erst, nachdem ich den für mich bereitgestellten verzierten Sessel eingenommen hatte. Ich hatte Reveina, Kalem und Tiersia am
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