Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
nachmittags, Patsy. Was besagt das?
Für mich deutet es darauf hin, dass er vielleicht vom Arbeitsplatz aus spielt. Aber ich wette, unser Lancelot ist ein Schüler.«
»Oder jemand, der gern mit Schülern spielt.« Diese Vorstellung verstörte Patsy bereits, als sie die Worte aussprach.
Diesmal versuchte sie nicht, mit Lancelot Verbindung aufzunehmen. Sie hörte sich mit Chuck die vollkommen lächerliche Diskussion über Rollenspiele an. Chuck bemühte sich dabei, Lancelot aufzuspüren.
»Er ist wirklich gut. Ein toller Hacker. Er hat eine Menge Sicherheitssperren in sein System eingebaut. Hoffentlich erwischen wir ihn trotzdem.«
»Ich habe vollstes Vertrauen in Sie, Chucky.«
Lancelot blieb bis kurz nach halb fünf im Chatroom. Inzwischen hatte Chuck es geschafft und kannte seinen Namen und die Adresse: Michael Ormson, Hutchins Place, Foxhall.
Kurz vor fünf Uhr hielten zwei dunkelblaue Vans vor dem Haus der Ormsons am Georgetown Reservoir. Fünf Beamte mit blauen FBI-Windjacken und Detective Patsy Hampton umringten das große Haus im Tudorstil mit den tausend Quadratmetern Garten davor und mit der wundervollen Aussicht dahinter.
FBI-Spezialagentin Brigid Dwyer ging mit Patsy Hampton zur Vordertür. Sie war nicht verschlossen. Mit gezogenen Waffen traten sie leise ein und entdeckten Lancelot im Arbeitszimmer.
Er sah aus wie dreizehn. Ein frühreifes Bürschchen. In Unterhose und mit schwarzen Socken saß er vor dem Computer.
»He, was ist los, zum Teufel? Was tun Sie in meinem Haus?
Ich habe kein Verbrechen begangen. Wer sind Sie überhaupt?«, fragte Michael Ormson empört und mit hoher, bebender Stimme.
Er war dünn, und sein Gesicht war von Akne bedeckt. Auf dem Rücken und den Schultern hatte er Ausschlag, der wie ein Ekzem aussah. Chuck Hufstedler hatte ins Schwarze getroffen.
Lancelot war ein Teenager, der nach der Schule mit seinem leistungsfähigen Computer spielte. Aber er war nicht das Wiesel. Dieser Junge konnte nicht das Wiesel sein.
»Bist du Michael Ormson?«, fragte Patsy Hampton den Jungen. Sie hatte die Waffe gesenkt, aber nicht zurück ins Halfter gesteckt.
Der Junge senkte den Kopf und schien jeden Augenblick in Tränen auszubrechen. »O Gott, o Gott«, stöhnte er. »Ja, ich bin Michael Ormson. Wer sind Sie? Sagen Sie meinen Eltern, was los ist?«
M ichaels Vater und Mutter wurden sofort angerufen. Sie arbeiteten in der Universitätsklinik Georgetown und im U.S.- -Marineobservatorium. Zurzeit lebten sie getrennt, doch beide kamen trotz des einsetzenden Berufsverkehrs in weniger als zehn Minuten nach Foxhall. Die anderen zwei Ormson-Kinder, Laura und Anne Marie, waren bereits von der Schule nach Hause gekommen.
Patsy Hampton überredete die Eltern, sie mit dem Sohn daheim sprechen zu lassen. Sie erklärte den Ormsons, dass sie dabei sein und die Vernehmung jederzeit unterbinden oder abbrechen könnten, wenn sie es wollten. Andernfalls müssten sie, Patsy und ihre Kollegen, Michael zur Vernehmung ins FBI-Hauptquartier mitnehmen.
Die Ormsons, Mark und Cindy, erklärten sich einverstanden, Michael zu Hause befragen zu lassen. Sie hatten offensichtlich Angst, besonders vor dem FBI, schienen Patsy Hampton aber zu vertrauen – wie die meisten Menschen, das wusste Patsy.
Sie war hübsch und ernsthaft und besaß ein entwaffnendes Lächeln, das sie bei Bedarf einsetzte.
»Ich bin an dem Spiel interessiert, das die ›Vier Reiter‹ heißt«, sagte Patsy zu dem Jungen. »Das ist der einzige Grund, warum ich hier bin, Michael. Ich brauche deine Hilfe.«
Wieder senkte der Junge den Blick und schüttelte den Kopf Patsy beobachtete den nervösen Michael und beschloss, ein Risiko einzugehen. Sie hatte eine bestimmte Ahnung, die sie ausspielen wollte.
»Du denkst, du hast etwas Schlechtes getan, Michael, nicht wahr? Aber das interessiert uns nicht. Überhaupt nicht. Uns ist es egal, was du mit deinem Computer angestellt hast. Es geht nicht um dich oder um deine Familie. Auch nicht ums Hacken.
In Washington hat es schreckliche Morde gegeben, und es besteht die Möglichkeit, dass sie mit diesem Spiel in Verbindung stehen, die ›Vier Reiter‹. Bitte, hilf uns, Michael. Du bist der Einzige, der das kann. Der Einzige.«
Mark Ormson, der an der Universitätsklinik Georgetown als Radiologe beschäftigt war, beugte sich auf dem schwarzen Ledersofa im Arbeitszimmer vor. Er sah jetzt noch verängstigter aus als bei seinem Eintreffen. »So langsam glaube ich, ich sollte einen Anwalt anrufen«,
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