Alex Cross 07 - Stunde der Rache
präzise und klar und begründet. Es erklärte alles, was heute Nacht geschehen würde. Selbst Dr. Cross würde es billigen. Es war das perfekte funktionsgestörte Familiendreieck. Vielleicht würde er es gleich jetzt Cross erklären. Unmittelbar, bevor er ihn ermordete. Er streifte Plastikhandschuhe über und Plastikschützer für die Schuhe. Er überprüfte das Magazin in seiner Pistole. Alles bestens. Dann ging er nach oben – das Superhirn, Svengali, Moriarty.
Er kannte sich in Cross' Haus bestens aus. Er brauchte kein Licht einzuschalten, und er vermied jeden unnötigen Lärm. Keine Fehler. Keine Beweise für die Untersuchungen der örtlichen Polizei oder des FBI.
Was für eine unglaubliche Art für Cross und seine Familie, zu sterben. Was für ein Coup. Was für eine eiskalte Idee. Als er die Treppe hinaufging, wurde er sich über die »Mordordnung« klar. Ja, jetzt war er sicher.
Klein-Alex
Jannie
Damon
Nana
und dann Cross
Er schlich zum Ende des Korridors im Obergeschoss und blieb stehen, um zu lauschen, ehe er die Schlafzimmertür aufmachte. Kein Laut. Langsam schob er die Tür auf.
Was war das? Eine Überraschung? O mein Gott!
Er liebte Überraschungen nicht, er liebte Präzision und Ordnung und wollte stets die totale Kontrolle haben.
Die kleine Tochter, Jannie, saß neben Cross' Bett, fest schlafend. Sie hielt beim Vater Wache und schützte ihn vor jeder Gefahr.
Er betrachtete Cross und das kleine Mädchen ungefähr neunzig Sekunden lang. Ein schwaches Nachtlicht erhellte das Zimmer.
Cross' Hand und Schulter waren dick eingebunden. Er schwitzte im Schlaf. Er war verwundet, krank, nicht ganz er selbst, kein würdiger Gegner. Der Mörder seufzte. Tiefe Enttäuschung, Traurigkeit und Verzweiflung ergriffen ihn. Nein, nein, nein! Das war alles falsch. Nicht so! Alles war falsch!
Langsam schloss er die Schlafzimmertür und verließ hastig das Haus. Niemand würde wissen, dass er hier gewesen war. Nicht einmal der Detective.
Wie üblich wusste niemand etwas über ihn. Niemand verdächtigte ihn. Schließlich war er Superhirn.
55
W ährend der Nacht wachte ich mehrmals auf. Ein Mal glaubte ich, jemand sei im Haus. Ich spürte seine Anwesenheit. Aber ich vermochte nichts dagegen zu tun.
Nach vierzehn Stunden wachte ich wieder auf und stellte fest, dass ich mich besser fühlte. Ich konnte beinahe wieder klar denken. Aber ich war immer noch total erschöpft. Sämtliche Gelenke schmerzten. Ich sah alles verschwommen. Ich hörte leise Musik im Haus. Erykah Badu, eine meiner Lieblingsplatten.
Jemand klopfte an die Schlafzimmertür. »Ich bin manierlich gekleidet. Wer kommt des Weges?«
Jannie schob die Tür auf. Sie hielt ein rotes Plastiktablett mit dem Frühstück. Eier im Glas, warmer Griesbrei, Orangensaft und eine große Tasse mit heißem Kaffee. Sie lächelte und war offensichtlich stolz auf sich. Ich lächelte zurück. Mein kleines Mädchen! Was für ein süßes Herzchen – wenn sie wollte. »Ich weiß nicht, ob du schon etwas essen kannst, Daddy. Für alle Fälle habe ich mal was mitgebracht.«
»Danke, Schätzchen. Ich fühle mich etwas besser«, sagte ich. Ich schaffte es, mich im Bett aufzusetzen und mit der gesunden Hand ein paar Kissen hinter den Rücken zu stopfen.
Jannie brachte das Tablett zum Bett und stellte es mir auf den
Schoß. Dann beugte sie sich vor und küsste meine stoppelige
Wange. »Jemand sollte sich rasieren.«
»Du bist wirklich lieb«, sagte ich.
»Ja, ich bin lieb, Daddy«, erklärte Jannie. »Fühlst du dich gut genug, um Besucher zu empfangen? Wir schauen dir nur beim Essen zu – und sind ganz lieb. Kein Ärger. Ist doch in Ordnung, oder?« »Genau das, was ich jetzt brauche«, meinte ich.
Jannie kam mit Klein-Alex auf dem Arm zurück. Damon folgte ihr auf den Fersen und machte das Siegeszeichen. Sie kletterten auf mein Bett und waren – wie versprochen – ganz lieb. Bei weitem die beste Medizin für mich.
»Iss den Brei, solange er heiß ist. Du wirst zu dünn«, neckte Jannie.
»Ja, stimmt«, pflichtete Damon ihr bei. »Richtig abgemagert
und vom Fleisch gefallen !«
»Sehr gut.« Ich lächelte und aß einen Bissen Ei, in der Hoffnung, es bei mir behalten zu können. Dann streichelte ich Klein-Alex über den Kopf.
»Hat jemand dich vergiftet, Daddy?«, wollte Jannie wissen. »Was ist genau passiert?«
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Baby. Es ist eine Infektion. Die kann man bekommen, wenn ein Mensch einen
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