Alex Cross - Cold
Debatte.
»Bitte Vorsicht beim Aussteigen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf dem Arlington National Cemetery.«
Zusammen mit den anderen Touristen stiegen sie aus und landeten auf einer kreisförmigen Freifläche vor dem Besucherzentrum, einem mit weißem Stuck verzierten Kalksteingebäude. Hala blickte sich um. Sie war unsicher. Was würde sie hier erwarten? Fast im selben Augenblick entdeckte sie ein bekanntes Gesicht in der Menge. Es war das Hippie Mädchen aus dem Museum. Sie hatte wieder ihre leuchtend bunte Tasche dabei. Wahrscheinlich, damit Hala sie sofort erkannte.
Dieses Mal gab es kein Abtasten, kein vorsichtiges Annähern. Sobald sie einander gesehen hatten, kam das Mädchen herüber und stellte sich neben sie, so, als würden sie alle auf den gleichen Bus warten.
»Oh, könnte ich mir vielleicht kurz Ihren Lageplan borgen?«, sagte sie.
»Selbstverständlich. Hier, bitte schön.«
Das Mädchen war wirklich richtig gut. Sehr natürlich und unerschrocken. Hala beobachtete sie genau. Trotzdem nahm sie kaum wahr, wie die CD aus ihrer Tasche in den Lageplan wanderte.
Was würde es dieses Mal sein? Ein Hochhaus im Herzen von Washington? Ein Regierungsgebäude? Eine weitere Versorgungseinrichtung? Musste wieder jemand liquidiert werden? Oder entführt?
»Danke schön«, sagte das Mädchen.
»Gern geschehen. Einen schönen Tag noch.«
Die Übergabe war blitzschnell und sehr geschmeidig abgelaufen. Wenn es überhaupt so etwas wie ein verräterisches Zeichen gegeben hatte, dann war es die Andeutung eines wissenden Lächelns auf dem Gesicht des Mädchens gewesen, kurz bevor sie sich abgewandt hatte. Die Mission kam so langsam in Schwung. Für Tarik und Hala war die Aufregung mit Händen zu greifen, wenn auch nur während eines kurzen Augenblicks voll gemeinsamer, hoffnungsvoller Erwartung.
»Komm«, sagte Hala. Der nächste rot-weiß-blaue Rundfahrtbus schob sich auf die Plaza. Hala nahm Tarik an der Hand und zog ihn in die entgegengesetzte Richtung.
»Wo gehen wir denn hin?«, wollte er wissen. »Die Tourbusse stehen doch da drüben.«
»Wir nehmen ein Taxi. Wenn ich noch eine einzige Minute in einem von diesen Bussen verbringen muss, dann bringe ich jemanden um.«
29
Mein Auto hatte sich in den letzten Tagen immer mehr zum Büro verwandelt, das ließ sich einfach nicht verhindern. Ich
war ständig unterwegs zwischen den aktuellen Fällen, die ich nicht einfach fallen lassen wollte, und den Befragungen im Zusammenhang mit der Coyle-Entführung, mit denen das FBI mich spärlich, aber regelmäßig beauftragte. Meistens erledigte ich das zusammen mit Sampson, aber gelegentlich war ich auch alleine unterwegs. Der Drachentöter.
Unterwegs besorgte ich mir jeweils die neuesten Informationen, gewöhnlich mit dem Handy am Ohr, mein Bluetooth hatte den Geist aufgegeben, aber wer konnte es sich in diesen Tagen schon leisten, im Elektronikmarkt auf Shoppingtour zu gehen?
»Und? Was meint das Labor? Die müssen doch irgendwas gefunden haben.« Ich hatte meinen alten Kumpel Jerry Winthrop in der Leitung. Er war meine Insider-Quelle für diese Trinkwassergeschichte. Den Rest erfuhr ich, wie alle anderen auch, von CNN und aus dem Internet. Bis jetzt gab es zwei Todesopfer. Die Stadt stand kurz vor der Panik. Sampson war heute unterwegs, um andere Wasserquellen zu überprüfen.
»Es sieht so aus, als hätte jemand hoch konzentriertes Kaliumzyanid in die Leitung für den zweiten Bezirk eingebracht«, sagte er.
»Ist das nicht...«
»Ganz genau. Das gleiche Zeug, das die beiden Selbstmörder draußen auf dem Dulles Airport genommen haben. So ein Zufall.«
»Und bis jetzt hat niemand ein Bekennerschreiben geschickt?«, wollte ich wissen.
»Keinen blassen Schimmer«, meinte Jerry. »Das FBI bombardiert uns nicht gerade mit weiterführenden Erkenntnissen.«
Das wunderte mich nicht, es war das typische Verfahren. Der sogenannte offene Informationsaustausch zwischen dem Metropolitan Police Department und dem FBI war in der Regel eine Einbahnstraße. Jerry erzählte mir, dass in der offiziellen Presseerklärung von ausgelaufenen Chemikalien die Rede gewesen war. Das Problem sei mittlerweile aber unter Kontrolle. Es kam natürlich darauf an, was man unter dem »Problem« verstand.
Nachdem ich mein Telefonat beendet hatte, wollte ich mir in einem kleinen Supermarkt einen Kaffee besorgen. Den hatte ich jetzt dringend nötig. Die Kaffeekannen waren jedoch leer, und an einer klebte ein Zettel,
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