Alex Cross - Cold
Heizkörper, schob das Fenster auf und beugte mich nach draußen.
Es lag nicht besonders hoch, und ich landete hinter einem dichten Fliederbusch.
Fußspuren, die man am betreffenden Tag gefunden hatte, belegten, dass zwei Personen, die in etwa die Größe von Ethan und Zoe gehabt haben mussten, hier entlanggekommen waren.
Aber wo waren sie hingegangen? Waren sie zu diesem Zeitpunkt noch alleine gewesen? Wann genau hatte das alles diese schreckliche Wendung genommen?
Wir kannten nur ein paar wenige Fakten. Der Rest war reine Spekulation.
Aber es existierte noch ein weiteres, bereits bekanntes Puzzleteil, und ich brauchte jetzt jemanden, der es mir zeigen konnte.
54
George O’Shea leitete die Hausmeisterei in Branaff. Er war ein großer, rothaariger Schrank von einem Kerl. So, wie seine mächtigen Arme unter den Ärmeln seiner Uniform hervorquollen, so spannte sich auch sein Bauch unter dem Hemd und drohte die Knöpfe zu sprengen. Ich fand ihn in seinem Büro im Keller unter dem Hauptgebäude.
»Sehr ’freut«, sagte er zur Begrüßung und zerquetschte mir beinahe die Hand. »Sie wollen sich also den Tunnel ansehn? Das Sekretariat hat schon angerufen.«
»Wenn Sie kurz Zeit haben.«
»Dann kommen Sie mal mit. Sie kriegen eine Sonderführung, gratis und umsonst.«
»Ich fühle mich geehrt. Schönen Dank auch.«
In der Presse waren viele Spekulationen über die unterirdischen Gänge in Branaff zu lesen gewesen, und viele Schreiber vermuteten, dass sie bei der Entführung eine Rolle gespielt hatten. Was die Öffentlichkeit jedoch nicht wusste, war, dass die elektronischen Positionsmelder, die Ethan und Zoe bei sich getragen hatten, hier unten gefunden worden waren, am Ende des Tunnels, völlig zerstört. Ob sie absichtlich dort hingelegt worden waren, um uns in die Irre zu führen, oder versehentlich dort gelandet waren, das war immer noch offen.
Ich folgte O’Shea durch den Keller bis zu einer alten schwarzen Stahltür an der hinteren Wand. Es sah ganz so aus, als ob sie ein ursprünglicher Bestandteil des Gebäudes wäre, sah man einmal von dem nagelneuen Riegel und dem Vorhängeschloss ab.
Der Hausmeister griff nach seinem Schlüsselring, öffnete das Schloss, zog die Tür auf und knipste das Licht an.
»Die Gänge sind in T-Form angelegt«, sagte er und ging voraus. »Geradeaus kommen wir zu einer versiegelten Klappe, wo früher mal das alte Kohlenlager war. Aber wenn wir da gleich rechts gehen, dann landen wir im Geräteschuppen neben den Sportplätzen.«
Angeblich hatte Noah Branaff im 19. Jahrhundert in diesem Tunnel eine unterirdische Eisenbahn betrieben. Jedenfalls war er seither eindeutig restauriert worden Stahlträger, Betonfußboden und Kacheln an der bogenförmigen Decke. Heutzutage diente er in erster Linie als Lagerraum.
Dicht beim Eingang befanden sich mehrere kleine Lagerabteile aus dünnem Maschendraht mit Reinigungsutensilien. Als wir uns dem anderen Ende des Gangs näherten, kamen wir an Gartengeräten und Sportausrüstungen vorbei. Alles sehr ordentlich und überraschend sauber.
O’Shea redete fast ununterbrochen. Er sei schon »seit Clinton« an der Schule und habe jede Menge »wichtige« Familien erlebt, aber noch keine sei so wichtig und bedeutend gewesen wie die Coyles.
»Was haben Sie für einen Eindruck von Ethan und Zoe?«, wollte ich wissen. »Was sind das für Kinder?«
»Ethan ist ein ganz gutmütiger Kerl«, meinte er. »Und verdammt schlau, sodass man fast Angst kriegen könnte. Viele von den anderen Kindern finden ihn ein bisschen seltsam. Gelegentlich wird er auch mal gehänselt. Na ja, wohl eher oft .«
»Und Zoe?«
Zunächst gab er keine Antwort. Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und wirkte ein wenig verunsichert angesichts dieser Frage. »Wahrscheinlich wollen Sie die Wahrheit hören, hmm?«
»Keine Sorge, Mr. O’Shea. Ich mache mir keine Notizen«, beruhigte ich ihn.
»Na gut, also dann... ehrlich jetzt? Zoe Coyle ist eine kleine Unruhestifterin. Sie versucht pausenlos, sich irgendwie durchzuschummeln und andere auszutricksen, und jeder, der was anders behauptet, ist entweder ein Lügner oder ein Arschkriecher. Und eins können Sie mir glauben: Diese Schule hier ist voll von Arschkriechern.«
»Das glaube ich sofort«, gestand ich und meinte es absolut ehrlich.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, fuhr er fort. »Ich bete jeden Abend für diese Kinder. Aber dieses Mädchen hat wirklich nichts anderes im Kopf, als Grenzen auszutesten und
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