Alex Delaware 25 - Tödliche Lektion
leeren Wohnzimmer saß eine Frau auf einem Klappstuhl und las. Soweit ich sehen konnte, war das ganze Haus bereits ausgeräumt.
Sie war aschblond, Mitte vierzig, trug einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Seidenbluse mit Rüschen, die wie Schlagsahne über die Revers schwappten.
Das Buch war eine zehn Zentimeter dicke Biografie über Abraham Lincoln. Sie legte es auf den Stuhl. »Lieutenant, Doktor, Sie kommen ein bisschen zu früh.«
»Und Sie sind…?«
»Mary Jane Rollins.« Ihr Gesicht war rund, sanft, faltenlos. Die hellen Augen und Wimpern ließen darauf schließen, dass sie als Kind blond gewesen war und die Haarfarbe wieder aufgefrischt hatte.
»Schön, Sie kennenzulernen, Direktorin Rollins. Hat Mr. Helfgott Sie an mich verwiesen?«
»Dr. Helfgott«, sagte sie und stand auf. »Er hat einen Doktortitel in Pädagogik mit Schwerpunkt auf Bildungsverwaltung und -management. Und ja, er hat mich um Unterstützung gebeten.«
»Ein Doktortitel in Pädagogik von der Brown?«, fragte Milo.
Rollins zog eine Augenbraue hoch. »Von der Universität von Kalifornien.«
»Hat den öffentlichen Bildungsweg eingeschlagen, was?«
»Die Universität von Kalifornien hat ein hervorragendes pädagogisches Ausbildungsangebot, Lieutenant.«
»Schicken Sie Ihre Schüler dorthin?«
»Wenn es angebracht ist. Ich muss noch etwas lesen, wenn Sie nichts dagegen haben. Wir haben hinten ein Zimmer für Sie vorbereitet …«
»Lassen Sie uns noch ein bisschen plaudern, solange Sie hier sind – Dr. Rollins, richtig?«
Kurzes Nicken.
»Was können Sie uns über Elise Freeman erzählen?«
»Nichts, was Ihnen Dr. Helfgott nicht schon mitgeteilt hat.«
»Dr. Helfgott hat mir erklärt, dass er sich nicht mit Angelegenheiten des Lehrkörpers befasst, folglich müssten Sie die richtige Ansprechpartnerin sein.«
»Ich kann Ihnen etwas über Elises Stundenpläne sagen, aber das wird Ihnen sicher nicht weiterhelfen.«
»War sie gern an der Windsor?«
»Selbstverständlich.«
»Ist das so selbstverständlich?«
»Warum sollte sie nicht gern bei uns gewesen sein?« Ein jähes, falsches Lächeln. »Was ihr Privatleben angeht, darüber weiß ich nichts.«
»Sie verkehren nicht mit Aushilfskräften, oder?«
Rollins befingerte ihre Rüschenbluse. »Was ich von Elise weiß, beschränkt sich auf ihre Arbeitszeit an unserer Schule. Sie war eine fleißige Aushilfslehrerin und stets verantwortungsbewusst.«
»Deswegen haben Sie ihr einen festen Vertrag gegeben, unabhängig von ihrer Arbeitszeit.«
»Wir waren der Meinung, dass wir ihr dadurch am ehesten ein Gefühl der Sicherheit bieten konnten. Der Lehrerberuf ist, wie Sie sicher wissen, nicht gerade lukrativ.«
»Dr. Helfgott meinte, Sie zahlen besser als alle anderen.«
»Natürlich. Dennoch ist das Dasein als Aushilfslehrerin unberechenbar, und viele benötigen ein Zusatzeinkommen. Dadurch sind wir auf Elise aufmerksam geworden. Sie hatte mehreren Schülern von uns Nachhilfeunterricht gegeben und hervorragende Ergebnisse erzielt.«
»Sie hat für eine höhere Punktzahl bei der Reifeprüfung gesorgt.«
»Sie hat getan, was nötig war.«
»Was soll das heißen?«
Sie hat Defizite behoben und die Schüler in die richtige Richtung gelenkt. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt…«
»Wem gehört dieses Haus, Dr. Rollins?«
Sie leckte sich die Lippen. »Mir. Genauer gesagt gehört mir die Hälfte.«
»Ehescheidung?«
Wieder ein plötzliches Lächeln. »Ergo muss ich verkaufen.«
Ein weiteres Ergo. Ich fragte mich, ob an der Schule Lateinunterricht angeboten wurde.
»Tut mir leid«, sagte Milo.
»Nicht nötig, es war für alle Beteiligten das Beste. Sowohl mein Ex als auch ich haben uns anderweitig orientiert. Wörtlich wie auch im übertragenen Sinn.«
»Haben Sie sich eine nette Eigentumswohnung zugelegt?«
Mary Jane Rollins kniff den Mund zusammen. »Sind meine persönlichen Lebensumstände in diesem Fall von Belang?«
»Mein Fehler, Doktor. Tut mir leid.«
»Ich habe tatsächlich eine Eigentumswohnung erstanden, die für meine Bedürfnisse weitaus besser geeignet ist. Meinem Ex habe ich seine Hunde, seine Kinder und die ganzen scheußlichen Möbel überlassen, die er aus seiner vorherigen Ehe mitgebracht hat. Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich jetzt…«
»Doktor, kam es zwischen Elise Freeman und irgendjemandem an der Windsor jemals zu Auseinandersetzungen?«
»Nicht dass ich wüsste, und garantiert nicht mit den drei Leuten, die Sie gleich
Weitere Kostenlose Bücher