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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Kopf des Jungen; es ist eine seltsam zärtliche Geste. » Wozu sollte man Seelen stehlen? Willst du dir eine beschaffen? Eine erste oder eine neue?«
    Alexander lächelt schwach. » Die Söldner; sie erzählen wunderbare Geschichten, abends, am Feuer. Und Geschichten, die gräßlich sind. Eine habe ich gehört, von einem Mann, einem Kreter, der in Ägypten und Arabien gekämpft hat. Er sagt, dort gibt es Völker, die daran glauben, daß mißgünstige Götter, Dämonen vielleicht, sich von den Seelen der Menschen ernähren. Daß sie später auch den Leib haben wollen, weil sie selbst keinen Leib besitzen. Daß sie einem neugeborenen Kind, wenn es schwach ist und noch nicht von anderen Göttern geschützt wird, weil die Eltern oder die Priester ein Opfer vergessen haben… also, daß sie einem kleinen Kind die Seele rauben und später, wenn der Körper gewachsen ist, in bestimmten Nächten versuchen, in den Körper einzudringen, um darin eine Weile zu wohnen.«
    Artabazos’ Gesicht ist voll von Trauer und Mitleid. » Und du fürchtest, diese Leere, die du in dir spürst, könnte so sein? Oh, mein Kleiner, wer hat dir diesen Unsinn erzählt? Selbst wenn es so wäre– deine Mutter, dein Vater, Aristandros der Seher, sie alle haben doch auf dich aufgepaßt.«
    Alexander schließt die Augen, preßt die Lider krampfhaft zu. » Philipp war nicht da, als ich geboren wurde. Aristandros auch nicht. Olympias hat mich geboren und gleich an Lanikes Brust gelegt, statt mich selbst zu säugen. Philipp will einen Krieger und Herrscher aus mir machen; Olympias sagt, ich muß das Gefäß des Gottes Ammon sein, der auch Zeus ist. Hatte ich vielleicht zwei Seelen, die miteinander gekämpft haben und beide in diesem Kampf gestorben sind? Hat vielleicht Ammon meine Seele aus mir herausgesaugt, um selbst in mich zu schlüpfen, irgendwann; um mich als seelenloses Gefäß zu besitzen? Oder gibt es vielleicht doch diese Dämonen?«
    Artabazos schweigt; er hält den Jungen immer noch fest, und Alexanders Finger berühren zögernd, als wäre es ein Wagnis, den Ärmel, dann die Hand des Persers. Sie reiten vorbei an Hütten, an Gesträuchgruppen, erreichen die ersten, etwas größeren Häuser eines Ortsrands.
    » Seele«, sagt Artabazos halblaut, wie versonnen, » ist möglicherweise das, was wir aus uns machen. Die Länder und Städte, die wir sehen; die guten und bösen Dinge, die wir tun; die Menschen, mit denen wir zusammenkommen; all unsere Erfahrungen und Erlebnisse, die Gedanken, Gefühle und Taten, machen uns zu etwas, das vorher nicht da war. Jedenfalls nicht so. Vielleicht ist das am Ende die Seele, und am Anfang ist sie so zart und dünn, daß wir sie gar nicht wahrnehmen können.«
    » Was sagen eure Götter dazu?«
    » Wir haben nur einen Gott, den All-Weisen, der zu Beginn der Dinge alles schuf. Aber er war schon vor dem Anfang da, ehe die Dinge begannen. Er war immer und wird immer sein. Er hat zwei Kräfte in die Welt geschickt, zwei Geister; sie zeigen den Menschen die verschiedenen Wege, damit wir uns entscheiden können. Den Pfad des Lichts, des rechten Sinns, der Tugend, zeigt uns Ahurah Mazdah. Und der Weg der Dunkelheit, der schwarzen Taten, der Ruchlosigkeit führt zu Ahriman, dem Dunklen Herrn. Am Ende aller Dinge und Tage werden die Seelen aller Menschen über eine Brücke gehen– eine Brücke, die den schwarzen Abgrund des Nichts überspannt. Jenseits der Brücke wartet der gute Geist des Einen Gottes, um die Redlichen und die Üblen voneinander zu trennen.– Vielleicht sitzt er auf dem Geist eines wunderbaren Schimmels. Schau!«
    Sie haben die Mitte des kleinen Orts erreicht; dort wird ein Vieh- und Pferdemarkt abgehalten. Alexander reißt die Augen auf, deutet auf einen tänzelnden Schimmelhengst und sagt: » Ohhhh!«
    Artabazos gleitet vom Pferd und hebt Alexander herab; dann geht er zu den Bauern und Pferdezüchtern. Alexander will folgen, wird aber festgehalten.
    Auf dem Boden, im aufgeweichten, zertrampelten Dreck, sitzt einer der wandernden Philosophen. Sein Haar ist verfilzt, der Chiton schlammig und kotig, die Fingernägel schwarz und verkrustet. Der Mann deutet auf Artabazos.
    » Dein Freund, Junge?«
    Alexander weicht einen Schritt zurück, rümpft die Nase und nickt fast widerwillig. » Warum?«
    » Du solltest nicht mit ihm reiten. Oder reden. Dies sagt dir ein weiser Mann, der noch selbst in seiner Jugend dem großen Sokrates lauschen durfte.«
    Alexander öffnet die Augen sehr weit. » Warum soll ich

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