Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
wieder unter sein Gewand und ließ sich aufs Lager sinken. » Damit nicht und auch mit vielen anderen Dingen.«
Peukestas erhob sich; die Knie schmerzten. Er ging langsam zu seinem Schemel. » Widerwärtig. Und ich dachte immer, Demosthenes sei der große Vorkämpfer der Hellenen gewesen, gegen alle Barbaren.«
Aristoteles starrte an die Decke, blickte dann hinüber zum Feuer. » Demosthenes? Ah, nein. Eubulos und seine Leute– dazu gehörte später auch Aischines; ein bißchen, jedenfalls einige Zeit, auch Demades und Philokrates– Eubulos wollte ein starkes Athen: Stärke durch Verträge, durch Frieden, durch Handel und Wohlstand. Als er Athen bedroht sah, durch Philipp, wollte er den Krieg, aber nur zur Wiederherstellung der alten Lage. Isokrates wollte immer den allgemeinen Frieden, und ein Bündnis aller Hellenen für den Kampf gegen die Perser– Rache für die Schändung der athenischen Tempel unter Xerxes. Demosthenes wollte Reichtum und Macht für sich und Hegemonie für Athen. Nicht Stärke wie Eubulos, sondern alleinige Vormacht. Damit seine Macht um so größer wäre. Demosthenes lenkt Athen, Athen lenkt Hellas, also lenkt Demosthenes Hellas. So etwa. Persien hat er nie als Bedrohung angesehen. Als Philipp zur Bedrohung zu werden schien, wollte Eubulos ein Bündnis aller Hellenen gegen Makedonien; Isokrates wollte Ausgleich mit Philipp; die Demokraten wollten Makedonien erobern, blindlings; Demosthenes wollte Krieg, ja, aber nicht im Bunde mit anderen Hellenen– das wäre eine Preisgabe der athenischen Vormachtwünsche gewesen. Demosthenes redete Athen in den Krieg gegen Philipp, ohne Bundesgenossen. Als Philipp gewann, bot er Frieden an; Demosthenes lehnte ab, und der Krieg ging weiter. Philipp gewann auch die nächsten Kämpfe, und diesmal konnte er den Frieden nicht nur anbieten, sondern bestimmen, zu seinen Bedingungen. Philokrates leitete die Gesandtschaft; Demosthenes und Aischines waren dabei. Anschließend pries Isokrates, völlig richtig, die Milde des Siegers und regte wieder den gesamthellenischen Bund gegen Persien an, unter Philipps Führung. Demosthenes betrieb eine feine Wühlarbeit, um Städte, die mit Philipp keinen Streit hatten, zum Eintritt in einen neuen Krieg zu bewegen– natürlich unter Führung Athens, das heißt unter Führung des Demosthenes.« Aristoteles schüttelte wieder und wieder den Kopf. » Athen war längst verrottet, und sie wibbelten darin herum wie abscheuliche Maden in verwesendem Fleisch. Ich habe Athen dann verlassen.«
Peukestas ging wieder zum Feuer, legte Holz und Rollen nach. » Bist du nur aus Abscheu gegangen?«
Aristoteles lachte hohl. » Soll ein Sterbender lügen? Nein; es gab mehrere Gründe. Abscheu war auch dabei. Enttäuschung sicherlich– ein Jahr nachdem Olynth und Stageira zerstört wurden, starb der greise Platon, und der eitle Aristoteles, nicht einmal vierzig Jahre alt, hatte gehofft, man werde ihn zum Leiter der Akademie wählen. Aber man wählte Platons Neffen Speusippos. Und Hermias, der in Athen denken gelernt hatte, inzwischen von den Persern verschnitten und zum Satrap der Lande um Atarneus gemacht– Hermias bot mir an, in sein Land zu kommen und dort einen Staat zu errichten, wie ich ihn mir vorstellte.«
» Also bist du zu ihm gegangen. Und gescheitert.«
» Gescheitert, ja. Es ist ein weiter Weg von dem, was ist, zu dem, was vielleicht besser wäre. Wahrscheinlich mußte ich in Atarneus scheitern, um den Weg zurück von Platon zu Sokrates zu finden.«
Peukestas grübelte; schließlich sagte er: » Warum haben die Perser ihn entmannt– Hermias?«
» Vielleicht, um ihn daran zu erinnern, daß er mit allem, mit Leib und Leben, Untertan des Großkönigs war– daß das Land nicht ihm gehörte, sondern Artaxerxes. Vielleicht auch nur, damit er nicht selbst eine Dynastie gründete, die später Anspruch auf die Gebiete hätte erheben können.«
» Und deine Frau– seine Tochter? Hatte er sie vorher gezeugt?«
Aristoteles lächelte matt. » Pythias, Mutter jener Pythias, die geheimnisvolle Dinge in der Küche tut, war nicht seine Tochter, sondern seine Nichte. Da er selbst keine Kinder haben konnte, hat er sie zu seiner Tochter gemacht.«
» Dein Staatsversuch…«
» Tugend des einzelnen bei allgemeinem Nutzen ist nicht durch gutes Zureden zu bewirken. Außerdem– vielleicht wäre derlei möglich, wenn man eine kleine Gruppe von Menschen auf einer Insel aussetzte. Eine mehr oder minder einheitliche Gruppe. Heute denke ich
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