Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
anders darüber. Die Vielfalt der Dinge, weißt du. Vielfalt, auch Vielfalt im Schlechten, ist Reichtum; einheitliche Tugend wäre Armut und Elend. In Atarneus waren zu verschiedene Menschen zusammen– Hellenen, Asiatiker, Asiaten, Perser, Meder, Skythen, Araber. Und die edlen Herren des Landes, die Männer des Großkönigs, hielten nicht viel von unseren Versuchen.«
» Dann warst du wahrscheinlich erleichtert, als Philipp dich nach Pella holte.«
Aristoteles warf ihm einen unfreundlichen Blick zu. » Ich wäre nicht zu Philipp gekommen, wenn der Versuch nicht beendet gewesen wäre. Aristoteles flieht nicht; er läßt auch nichts Halbfertiges liegen. Nein; das war vorbei. Als dein Vater zu mir kam, hatte ich Atarneus schon verlassen. Ein wenig jedenfalls. Wir lebten außerhalb von Mytilene– auf der anderen Seite der schmalen Wasserstraße.« Er kicherte grimmig. » Bei gutem Wetter konnte ich die Bühne meines Scheiterns sehen.«
9 .
Von Mytilene nach Mieza
» Das Problem heißt Demosthenes.« Parmenion hatte gewartet, bis die Schreiber, die Hofbeamten und die Unterführer gegangen waren. Der Herbstregen, der die Felder aufweichte und die Straßen in Kanäle verwandelte, schien durch die Steine des Mauerwerks zu dringen. Drakon füllte die vier Becher mit Glühwein, beschickte den Wärmer erneut mit Wein, Wasser, Honig und Gewürzen, stocherte in den Holzkohlen und setzte sich dann wieder an den Tisch. Er trug einen groben Wollumhang, den er enger um sich zog. Antipatros hatte die Ellenbogen auf dem Tisch, das Kinn auf den Fäusten, den Lederhelm fast auf den Augen; er starrte irgendwo hin. Philipp stand über ein Kohlenbecken gebeugt, die Arme ausgestreckt, und rieb sich die Hände.
» Das Problem«, sagte er über die Schulter, » hat viele Namen. Demosthenes ist einer.«
Die Flamme eines Öllämpchens flackerte; der stoffbezogene Holzrahmen schien die Fensteröffnung nicht ganz dicht zu verschließen.
» Welche Namen noch?«
» Parmenion.« Philipp grinste. » Drakon. Antipatros. Philipp. Probleme haben immer mehrere Seiten. Ich glaube, wir sind für Demosthenes ein größeres Problem als er für uns.«
Drakon wedelte mit einem Zipfel seines Umhangs. » Du. Parmenion. Antipatros. Aber ich doch nicht. Ich bin ein kleiner ahnungsloser Arzt. Zahnausreißer, Knochenrenker, Kräuterkauer. Was hat Demosthenes schon von mir zu befürchten? Außer daß ich versuche, eure Krankheiten und Wunden zu heilen und euer Leben zu verlängern.«
Parmenion rutschte tiefer in seinen Scherensessel. » Athen würde dir viel Gold bezahlen für ein wenig Gift.«
Drakon kniff ein Auge zu. » Ich habe alles Gift, was ich brauche. Und Gold? Bah.« Er trank, verschluckte sich und hustete.
Philipp verschränkte die Arme, so daß die Hände in den Achselhöhlen verschwanden, und ging langsam auf und ab. » Wir haben es fast geschafft«, sagte er leise. » Sechzehn verdammte blutige Jahre. Der Norden, Thessalien, Euboia, Bündnisse hier und da. Sparta ist ein Krähennest. Nur Theben und Athen zählen. Wenn Athen zustimmt, kommen die anderen auch auf unsere Seite.«
» Athen wird nicht zustimmen.« Antipatros nahm das Kinn von den Fäusten und betrachtete seine Fingernägel. » Demosthenes ist zu stark geworden; gegen seinen Willen geschieht nichts. Und was er will, wissen wir doch alle, oder? In einem großen hellenischen Bund, gleich, ob unter deiner Führung, Philipp, oder unter der eines anderen, wäre Demosthenes nur einer von vielen. Der Zehnte, vielleicht. Er will aber der Erste, der Größte, der Beste sein. Das kann er nur in Athen; und nur dann, wenn Athen die Hegemonie erreicht.«
» Der Schönste will er jedenfalls nicht werden. Schafft er auch nicht.« Drakon gluckste.
Philipp blieb stehen, den Kopf schiefgelegt. » Schön? Nein, fürwahr. Ich seh ihn noch bei den Friedensverhandlungen vor drei Jahren, wie er sich in Alexander vergafft. Als der Junge Homer vorgetragen und Harfe gespielt hatte. › Bläst du ah auch die ah Flöte?‹ Und Alexander, wie der Blitz: › Nicht ah deine.‹ Ha, ha, ha.«
» Unterschätz ihn nicht.« Parmenion schüttelte leicht den Kopf. » Was Knaben und sehr junge Mädchen angeht, da treiben ihn seine Drüsen. Ansonsten treibt ihn sein Ehrgeiz. Und er hat einen scharfen Verstand.«
» Ich unterschätze ihn nicht. Ich liebe nur gute Geschichten.« Philipp grinste, blickte dann aber sehr ernst. » Er hat es geschafft, aus eigener Kraft vom armen Waisenknaben zum reichen Mann zu
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