Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Frau, hörte Ptolemaios das Stöhnen und Schreien und Kreischen der Verwundeten, der Sterbenden, roch den entsetzlichen Gestank, den die Sonne aus Leichenbergen, Pferdekadavern und jenen unglaublichen Fleischbergen holte, die einmal Elefanten gewesen waren. Wie sollte er für Aristoteles im fernen Athen jenen Bogen beschreiben, einem blutigen Regenbogen gleich, der in der atemlosen Stille vor dem Angriff des Bessos begann und endete, als Ptolemaios nach dem letzten Angriff der Hetairen den eisgrauen Parmenion sah, zu Fuß, ohne Helm, das von Blut und Hirn und Gewebe verkrustete Schwert gesenkt in der Rechten. Parmenion, der sich zu einem Sterbenden aus der Abteilung des Krateros bückte, damit dem Tapferen das Lob des Strategen als letzte Wahrnehmung zuteil werde. Parmenion, der die linke Hand auf Alexanders blutenden Oberschenkel legte und zweifellos geflügelte, aber unhörbare Worte sagte. Parmenion, der strahlte, als er den Führer der Hetairen sah, seinen Sohn Philotas, bedeckt mit eigenem und fremdem Blut, mit Schweiß und unsterblichem Ruhm, lebendig, und Philotas sagte, auch der andere Sohn lebe, Nikanor, der Führer der Hypaspisten. Parmenion vor dem Hügel aus Leibern toter Perser, Fürsten ebenso wie Bauern – Parmenion, der aufschluchzte, das Schwert fortwarf und die tapferen toten Feinde ehrte, indem er die Arme nach ihnen ausstreckte und das Gesicht und die Tränen dorthin wandte, wo die Perser ihren höchsten Gott vermuteten, zum Himmel. Wie all das beschreiben – Kühnheit, Tapferkeit, Gier, Rausch, Wahnsinn: höchsten Triumph und äußerstes Grauen?
»Hat dich der daimon des Tötens wieder fortgerissen?« sagte Thais. Sie stand am Fenster zum Innenhof, wo ein paar nasse Vögel unter die Kübelpflanzen gekrochen waren, um Schutz vor dem Regen zu finden, der seit drei Tagen aus dem grauen Himmel niederging, die Lehmziegel der Häuser aufweichte und Babylons Straßen zu klebrigem Brei machte. Ihre einzige Kleidung war die Schönheit, ihr einziger Schmuck der silberne Becher, den sie an die immer geschwollenen – oder schwellenden? – Lippen hob. Die dunklen Augen tasteten Ptolemaios’ Gesicht ab.
Er rollte sich vom Lager. »Es wird dauern«, murmelte er. »Aber es geht vorüber. Alles gehtvorüber.« Er kleidete sich an.
»Alles?« Die Athenerin hob die Schultern. »Vor allem wäre es schön, wenn etwas bald aufhörte. Du weißt ...«
Ptolemaios versuchte ein Grinsen. »Du bist aus Athen nach Ägypten gegangen und seitdem beim Heer, weil dir, teuerste hetaira, stramme makedonische Offiziere ersprießlicher erschienen als fette attische Händler. Was willst du? Ist er nicht gut?«
»Philotas? Doch; und hin und wieder ... rauh. Aber ich mag dieses Spiel nicht mehr spielen.«
»Ich bin noch nicht ausreichend wiederhergestellt, um allein mit dir fertigzuwerden. Jede Nacht und jede Nacht und jede Nacht.« Er gluckste. »Und ich muß wissen, was Philotas sagt, wenn keiner von uns dabei ist.«
»Immer das gleiche, Lagide. Immer das gleiche. Daß der König mehr und mehr zum Asiaten wird; daß er zwar feine Einfälle hatte, die Schlacht aber von Makedonen entschieden wurde, daß er aufhört, Makedone zu sein; daß, wenn er endgültig aufhört, Makedone zu sein, die alten Offiziere und die Jungen, die echten Makedonen, die Pflicht haben werden, das Heer und die Welt von einem Tyrannen zu befreien.«
»Hmf. Immer das gleiche; fürwahr, edle Frau, nichts Neues unter der Sonne seines Hochmuts. Aber noch nennt er keine Zeiten, oder? Und was ist mit seinem Vater?«
Thais stellte den Becher ab. Aus dem nassen Hof kam ein kühler Hauch; sie schauerte und ging zu dem Schemel, auf dem ihre Kleider lagen. Während sie sich anzog, sagte sie langsam, nachdenklich:
»Das ist ... unklar. Er will – ich meine Philotas – auf jeden Fall noch die Schätze Persiens mitnehmen. Und er ist manchmal mürrisch, weil Parmenion nichts von allem wissen will.«
Ptolemaios nickte. »Der edle Stratege, Verkörperung Makedoniens und makedonischer Treue? Der Vater des Heers ...«
»Das ist er. Er wird im Zweifelsfall eher seinen Sohn in Ketten legen ... Solange Alexander nicht wahnsinnig wird.«
Ptolemaios betrachtete sie eindringlich. »Thais, ich weiß, das Spiel ist unwürdig. Aber ...« Er breitete die Arme aus.
Sie seufzte. »Ja, ja; die Dirne Thais hatte immer viele Kunden an einem Tag, warum regt sie sich jetzt so auf?« Sie befestigte den Umhang über der linken Schulter mit einer Silberspange, einer bis zu den
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