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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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Geltung, und Alonzo ihr nicht widersprach, gaben die beiden mir nun einen Schubs, und so versuchte ich mein Glück.
    Die Frau kramte leise fluchend in ihrem Handtäschchen, als ich mich ihr näherte. Man sah ihren feinen Beuteltierzügen die Verärgerung an.
    »Suchen Sie das hier?«, fragte ich und hielt ihr ein Feuerzeug hin.
    Sie war so überrascht, dass sie nicht protestierte, aber als ihre
Camel angezündet war, nahm sie sich Zeit, mich ausführlich zu begutachten.
    »So eine Frechheit«, sagte sie schließlich.
    Ich dachte schon, ich sei gemeint, aber im nächsten Atemzug fügte sie hinzu: »Wenn bei der Hochzeit nicht geraucht werden darf, muss man das vorher sagen. Es in die blöde Einladung schreiben. Und einen nicht der … Luftreinheitsgestapo ausliefern …«
    Sie machte trotzig einen tiefen Zug. Betrachtete mich noch eine Weile.
    »Amerikaner, nicht? Wie passen Sie hier rein?«
    »Ich bin Aurelias Cousin. Aus New York.«
    Ihre perfekt gezupfte linke Augenbraue stieg einen halben Zentimeter in die Höhe.
    »Von Yankee-Verwandtschaft hat sie nie ein Wort gesagt.«
    »Warum auch? Wir sind peinlich. Mir wurde unmissverständlich klargemacht, dass ich mich zurückhalten und mit niemandem sprechen soll.«
    »Dann haben Sie das Gebot schon übertreten.«
    »Unter den gegebenen Umständen bedaure ich es nicht.«
    Ich lächelte, und nach einiger Überlegung lächelte sie ebenfalls.
    »Sagen Sie mal, Mister …«
    »Daniell.«
    »Wo übernachten Sie denn?«
    »In Kew.«
    »Die wollen Sie wirklich verstecken.«
    »Ich kann mich nicht beklagen, es ist Aurelias Tag.«
    Die Frau fuhr sich mit der Hand über den Mund.
    »Tja, dann werde ich Sie für mich behalten müssen, Mr. Daniell.«
    »Ich lasse mich gern unter Ihre Fittiche nehmen. Wie darf ich Sie ansprechen?«
    »Millicent.«
    »Ist das Ihr richtiger Name?«
    »Vorläufig.«
    Ich nahm mir selber eine Zigarette, und wir pafften beide schweigend. Dann schloss sie die Hand leicht um meinen Arm.
    »Zurück in den Albtraum«, sagte sie.
    Bei meinem Anblick verzog der Scharfrichter abschätzig die Miene. Er drückte die Schultern durch, die Hand ging an seinen Ohrhörer, als Millicent sagte:
    »Mr. Daniell gehört zu mir.«
    Fünf Wörter in gelangweiltem Privatschulen-Akzent, und der proletarische Riese machte einen Rückzieher.
    Ich hatte keine Zeit, meinen Triumph auszukosten, denn als wir das Zelt betraten, verschwand das Sonnenlicht, und ein Sargtuchdämmer umgab uns, gemildert durch Partyfackeln, die in bestimmten Abständen aufgestellt waren, wider alle Brandschutzbestimmungen grell loderten und die Luft im Zelt zu Rauch verkochten. Der Schweiß brach mir aus, als ich durch die Schwaden spähte und dem misstönenden Gedudel von Harfen, Kinderflöten und Hackbrettern lauschte.
    »Ist es nicht unglaublich, was die einem hier zu essen vorsetzen?«, sagte Millicent. »Geräucherte Putenkeulen. Ale . Ein Königreich für ein Glas Champagner.«
    Langsam drang mehr Licht durch meine Retina, und das Gewirr der Glieder um mich herum setzte sich zu Hochzeitsgästen zusammen, die allerdings trotzdem nicht zueinander passen wollten. Königin Elisabeth plauderte fröhlich mit Maria Stuart. Heinrich VIII . scherzte mit dem Papst. Ein junger Bischof tanzte Gavotte mit einem alten Milchmädchen. Und ein Madrigalchor stämmiger Frauen sang:
     
    Up and down he wandered
    whilst she was missing;
    When he found her,
    O then they fell a-kissing.
     
    Millicents Finger tanzten auf meinem Handgelenk. Sie redete schon seit mindestens zwei Minuten auf mich ein.
    »… Ach, egal, ich hab kein Recht, mich zu beschweren. Meine Hochzeit war eine Qual in Tüll. Es schmerzt mich, wenn ich nur daran denke.«
    Ich starrte auf ihren Ringfinger.
    »Ist Ihr Mann auch hier?«, fragte ich.
    »Möglich.«
    Inzwischen waren wir von Feuerjongleuren umringt. In peinigenden Wogen verstreuten sie Hitze – ich war so ausgedörrt, dass ich nicht einmal mehr schwitzte –, und als ich die Augen schloss, kam mir das Zeltdach entgegen.
    Ich japste und kam blinzelnd wieder zu mir. Millicent hatte, während ich weggetreten war, irgendwo zwei Gläser Champagner aufgetrieben.
    »Bin ich nicht clever?«, krähte sie.
    »Sollte der nicht für den Toast aufgehoben werden?«
    »Wir brauchen ihn dringender.«
    Ihre Hand hatte sich in meine geschmuggelt, und die Berührung ihrer Haut war sonderbar heilsam. Ich stand jetzt so dicht neben ihr, dass ich die Zartheit ihrer Glieder sah, das Talkum unter ihrer Perücke

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