Alias XX
beruhigen.
»Er fällt immer auf die Füße.«
»Um ihn mach ich mir keine Sorgen.«
»Worüber dann, die Japaner?« Die durch das Meer pflügten in Richtung Hawaii – falls der Angriff erfolgte, falls nicht alles ein einziges großes Täuschungsmanöver war …
»Highcastle hat mich gebeten, dich zu begleiten, Tom, was ich nur allzu gern mache. Aus Loyalität zur dir, nicht, weil ich dem Mikrofilm Glauben schenke.«
»Du und deine Loyalität.«
»Du hast mir immer am Herzen gelegen«, sagte sie, »egal, was du zu glauben meinst.«
»So wie Kreta dem Fliegerkorps am Herzen gelegen hat.«
Der Regen wurde stärker, und Harriet öffnete ihren Schirm. Sie fragte Tom nicht, ob er auch mit darunter wollte. Ein Rinnsal floss von der Hutkrempe auf seine Schulter. Ein Bus spie eine feuchte Abgaswolke aus, während er und Harriet zum Broad Walk eilten, wo klassische Gebäude der Regentschaftszeit standen, Terrassen, die von groben Holzbalken gestützt wurden oder in Schutt und Asche lagen. Sie erreichten den Regent’s Park, in dem graue Eichhörnchen in Kastanienbäumen herumtollten und Ringeltauben aufgescheucht davonflogen.
Sie kamen an Blumengärten und abgesperrten Arealen mit Sperrballonen vorbei, an Kricketfeldern, die zu Exerzierplätzen für die Home Guard umgewandelt worden waren. Harriet hakte sich wieder bei ihm ein und schmiegte sich auf der Brücke an ihn. Das Wasser im Kanal floss träge, das Grau des Himmels spiegelte sich darin. Regentropfen überzogen die Wasseroberfläche mit kleinen Pockennarben.
»Keiner kennt ihn so gut wie wir«, sagte Harriet.
»Warum also war er hier?«, fragte Tom.
»Weil er vielleicht verschwinden wollte.«
»Er hat den Mikrofilm bekommen, richtig? Er hat ihn nicht in die Botschaft gebracht, sondern in einem Buch versteckt. Warum? Nehmen wir an, er hat sich hier mit seinem Kontakt getroffen.« Er schüttelte den Kopf, Wassertröpfchen stoben von seinem Hut. »Kann nicht sein. Der Mikrofilm war noch in seinem Zimmer. Warum also ist er hierher gekommen?«
Sie bogen links in die Prince Albert Road ein, und Harriet sagte: »Um Beweise für den Mikrofilm zu bekommen.«
»Musste so sein. Earl wollte der Sache erst auf den Grund gehen, bevor er Meldung erstattete. Mit wem also hat er in seinem Zimmer gesprochen?«
»Mit einer seiner Frauen.«
»Nehmen wir an, es war Sondegger. Er hatte Earl den ersten Mikrofilm schon ausgehändigt, dann machen sie also ein Treffen aus, um den zweiten zu übergeben.«
»Warum?«
»Operative Flexibilität.«
Harriet überlegte. »Möglich. Sondegger trifft sich mit Earl, wirft ihm einen Köder hin, hält die Beweise aber zurück.«
»Ja. Earl hat den ersten Mikrofilm und kommt dann hierher, um sich den zweiten zu …«
»Falls es Sondegger war, der sich in seinem Zimmer aufgehalten hat.«
»Gut, nehmen wir an, er war es nicht. Nehmen wir an, es war … Nein, spielt keine Rolle. Die einzige Spur zu Earl führt hier zum Kanal.«
Also begannen sie mit der Suche. Sie zeigten Earls Bild in Lagerhäusern vor, einer öffentlichen Sporthalle und einem Ersatzteillager für Busse. Sie fragten in einem kürzlich erbauten Wohnblock. Sie sprachen mit den Frauen auf den Booten, die in den Kriegszeiten die Schiffsbesatzungen stellten. Keine von ihnen hatte Earl gesehen, aber mehr als eine meinte, nachdem sie das Foto betrachtet hatte, dass sie ihn herzlich gern kennen gelernt hätte. Sie sprachen mit einem Mann, der im Zoo die australischen Buschhühner beobachtete, und mit einem zweiten, der an den leeren Zebrakäfigen einen Handkarren vorbeischob. Am Verwaltungsgebäude des Zoos blieben sie stehen. Sie hatten sich zu sehr auf Inchs Erinnerung verlassen, weil sie sonst nichts hatten.
Ein Dutzend Mädchen saß an dem Tisch, junge Dinger mit frischen Gesichtern. Rupert hätte sie mit seinem Charme bezaubert, sie wären sprachlos gewesen, noch bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hätte. Doch alles, woran Highcastle denken konnte, war, dass Abendammer nicht viel älter war als sie und unzählige Leben in ihrer zarten Hand hielt.
Er räusperte sich, und alle im Raum verstummten. Er deutete auf die Stapel mit den Berichten zu den besonderen Vorkommnissen. »Es ist keine ruhmvolle Arbeit. Zimmer mit abgestandener Luft, harte Stühle, Tee, der wie Teichwasser schmeckt. Keiner wird es Ihnen jemals danken.« Seine Stimme ließ das Schweigen im Raum noch eindringlicher werden. »Aber von Ihnen hängt das Leben vieler Menschen ab. Und ich bin auf Sie
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