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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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gewöhnt hatten, erkannte er drei Jungen – vierzehn oder fünfzehn Jahre alt –, die auf umgedrehten Lattenkisten saßen. Dreckiges, halbwüchsiges Gesindel, mit schlechter Haltung und noch schlechteren Zähnen.
    »Raus mit euch«, sagte er.
    »Verpiss dich, alter Penner.«
    Er zog dem nächsten Jungen seinen Spazierstock übers Gesicht.
    Der Junge schrie auf und erhob sich, und Rugg sagte mit seiner komischen hohen Stimme: »Los.«
    Die Jungen sahen mit ihren trüben Augen an Chilton vorbei zu Rugg und Renard, rutschten von den Kisten, kratzten sich und schlurften, eingehüllt in beißenden Schweißgeruch, hinaus.
    Chilton schritt weiter in den Raum und trat in eine Lache mit einer schleimigen Flüssigkeit. Er unterdrückte einen Schauder, als er sich an Rugg und Renard wandte. »Idioten. Sie hätten schon vor einer halben Stunde hier sein sollen. Sie scheinen nicht die geringste Vorstellung zu haben, was auf dem Spiel steht?«
    »Wir haben Neuigkeiten«, sagte Renard. »Hat ein wenig gedauert, aber …«
    »Sie können reden, wenn ich fertig bin«, sagte Chilton. »Das Ideal, das wir anstreben, beruht auf Autorität. Sie können sich nicht dafür einsetzen, wenn Sie dieses Ziel gleichzeitig untergraben. Haben Sie mich verstanden?«
    »Wir haben eine verdammt …«
    » Haben Sie mich verstanden? «
    Renard nickte, in seinem Blick schimmerte ein Funken Aufsässigkeit. »Es ist nur, Sir, wir haben Herrn Sonder getroffen.«
    Chilton spürte ein kribbelndes Gefühl im Nacken. »Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, dass Sie ihm etwas angetan haben?«
    »Keineswegs.« Renard schlug den Mantel zurück, um Chilton die Revolver zu zeigen. »Er hat uns losgeschickt, damit wir Waffen kaufen. Meinte, das sollten wir vorher noch erledigen, bevor wir uns mit Ihnen treffen.«
    »Sie haben Anweisungen von ihm entgegengenommen?«
    »Er ist kein Verräter, wie Sie dachten. Er steht treu zur Sache.«
    »Haben Sie denn überhaupt nichts kapiert?«, sagte Chilton.
    »Anweisungen haben Sie ausschließlich von mir zu erhalten. Sie sind nicht … Sie sind nicht ermächtigt, nach Lust und Laune zu entscheiden, von wem Sie Ihre Befehle entgegennehmen. Selbst meine verblendete Tochter weiß um ihre Pflichten. Selbst
sie …«
    »Bringt mich auf die Palme«, unterbrach ihn Rugg.
    »Selbst meine Tochter«, fuhr Chilton fort, »würde sich niemals gegen die Anweisungen eines Vorgesetzten stellen.«
    Renard sah zu seinem Gefährten, dann trieb er seine Rechte in Chiltons Magen. Chilton sackte vornüber, sein Stock schlitterte über den Boden. Ein durchdringender, stechender Schmerz breitete sich in seinem Körper aus, sein Gesichtsfeld verengte sich zu einem schmalen, dunklen Bereich, in dem Sterne aufblitzten. Er rang nach Atem, hörte ein raues Röcheln und ein hohes Pfeifen. Rugg umfasste mit eiserner Faust seinen Hals und zog ihn nach oben. »Vermaledeiter Schwätzer. Du gehst mir auf den Keks.«
    Chiltons Lippen bewegten sich, aber er brachte keinen Ton heraus. Seine Knie waren wie Gummi, sein Kopf war wie ein Schwamm, er konnte keinen Gedanken mehr fassen. Rugg warf ihn durch die Halle. Er krachte gegen ein grobes Holzbrett und fiel auf den stinkenden Boden. Er versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht. Er hörte von draußen, außerhalb des Eingangs, Ruggs weibische Stimme, als er mit den drei jungen Herumtreibern sprach. Chilton hob den Arm und sah, wie seine Hand, eine verdörrte, weiße Klaue, an der gesplitterten Lattenkiste festen Halt zu finden suchte. Ein Schatten fiel über ihn, und der Jugendliche mit dem Striemen im Gesicht sagte: »So, jetzt wollen wir doch mal sehen.«
     
    Die Nachbarn waren ein reizendes altes Paar. Sie hielten Abendammer für Mr. Penthams Nichte und winkten sie heran, als sie ins Haus wollte. Eigentlich hatte sie keine Zeit für Plaudereien, aber höfliches Benehmen war ja so wichtig, weshalb sie stehen blieb. Sie erzählten ihr von dem Brand in der Fabrik in Huddersfield, während Loochie begeistert und schwanzwedelnd ihre Füße umkreiste. Sie kraulte ihn hinterm Ohr, und die Nachbarn fragten, ob sie schon von diesem deutschen Spion gehört habe. Ihr Herzschlag setzte kurz aus, ihr Lächeln aber veränderte sich keinen Deut, als sie die Frage verneinte.
    »Na!«, sagte die Frau. »Die Polizei in Dublin hat einen Hermann Görtz festgenommen – fünf Jahre Gefängnis.«
    »Oh«, sagte sie, »jetzt muss ich aber los«, und gab Loochie zum Abschied noch einen Klaps, bevor sie sich aufrichtete.

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