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Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
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auf der eigenen Schwelle erschossen werden. Sollte er sich der Kette entledigen?
    »Einigen wir uns darauf, dass exakt zwei Minuten und dreizehn Sekunden vergangen seien, laut unserem Pendel, zwischen dem Ziehen der Glocke und dem Klopfen an der …«
    Noch nicht. Highcastle war zu vorsichtig. Innerhalb der Grenzen seiner apokopierten Welt war er durchaus tüchtig. Davies-Frank war da schon vielversprechender. Geistesgegenwärtig, beherrscht, eine züngelnde Flamme innerhalb des geschwungenen Laternenglases. Davies-Frank hatte Angst. Er hatte zwei Kinder, wie er anhand eines Sirupflecks am Ärmel und des beschleunigten Pulsschlags erkannt hatte, als er die extemporierten Auslassungen zur hypothetischen Familie über sich ergehen lassen musste, eine inspirierte Abwandlung der Rachetragödie.
    »… dass sich der Begriff der Dauer lediglich vom Gang und von der Folge unserer Gedanken herleitet, – und dass dies das wahre Pendel ist, das jedwedem anderen Pendel abschwört.« Durch den Raum hallte der satte Bariton seines Gelächters. »Wenn Sie das Wort entschuldigen wollen. Pendel. Aber worauf es ankommt, mein Freund …«
    Der dritte Mann im Raum musste Wall sein. Ausgezeichnet. Sondegger hatte verlangt, dass er heute eintreffe, und sie hatten geliefert. Er schätzte Gehorsam, wenn er eine solch komplizierte Aufführung gab. Wie nun allerdings weiter? Die Informationen, die er bei sich führte, waren bei den Briten nicht sicher. Die Briten waren von der Roten Kapelle infiltriert und schädigten sich mit ihrer lächerlichen Schuljungenvorstellung von Fairplay nur selbst. Er brauchte Wall. Er konnte Wall noch nicht mit der Lieferung seines Pakets betrauen. Ein neues Skript war erforderlich. Er musste improvisieren, die Umstände seiner Mission hatten sich, von einem Augenblick zum nächsten, unwiderruflich geändert.
    »… dass unsere Wahrnehmung der Zeit, was gemeinhin als starre und festgelegte Zeitdauer betrachtet wird, von der Schnelligkeit unserer Gedankengänge abhängt. Deshalb …«
    Zum Glück liebte er es, zu improvisieren. Trotz seiner mangelhaften Informationen, des Schlags ins Gesicht und der sich nähernden Schritte war der dritte Akt klar: Er musste Wall benutzen. Wall musste seine Rolle lernen und für seine Kunst leiden. Wie ihn anleiten und führen? Wie ihn zwingen, dass er sich bemühte – und schließlich sein Ziel erreichte? Von Walls Leistung hing es ab, ob Sondeggers Aufführung Erfolg beschieden sein würde. Seiner vorrangigen Aufführung. Eine zweite war jetzt noch hinzugekommen: dieses fingierte Funkspiel aufzudecken. Dieses Schmierentheater, bei dem gefangengenommene deutsche Agenten zu Verrätern umgedreht worden waren.
    Wie sehr war das Netz der Abwehr untergraben? Sondegger waren die Decknamen von drei Agenten genannt worden, die es zu überprüfen galt: Digby, Gerring und Kruh. Sollten sie ebenfalls übergelaufen sein, würde das marode Netz der Abwehr durch eines ersetzt werden, das treu zum Führer, der Partei und dem Amt VI des SD stand.
    »… geben wir uns ausgiebiger und mannigfaltiger Gedanken hin, vermögen wir in der Zeitspanne zwischen zwei Schritten durch ganz Flandern nach England zu reisen, wir vermögen …«
    Im Flur war eine gedämpfte Unterhaltung zu hören. Die Tür ging auf. Er geriet nicht ins Stocken. Seine halb geschlossenen Augen blieben starr auf die Decke gerichtet. Er roch Capstan-Zigaretten und Bardil-Heftpflaster. Er spürte einen Luftzug am Hals und hörte die nervösen, zögerlichen Schritte von Davies-Frank.
    »… die Dauer unserer Tage zu verlängern.«
    Zwei Aufführungen also.
    Die minder wichtige: den SD in Kenntnis zu setzen, dass das Netz der Abwehr unterwandert war.
    Die wichtige: Thomas Stuart Wall.
     

9
 
1. Dezember 1941, Nachmittag
    Als sie näher traten, glaubte Tom, die weiße Tür würde loch heller werden, als würde sie leuchtend weiß glühen. Ja, er war die Ruhe selbst. Er war großartig. Er schüttelte den Kopf, und die Tür wurde wieder matt. Davies-Frank fasste nach dem Türknauf. »Kein Schloss?«, sagte Tom.
    »Er ist angekettet.«
    »Warum dann die Tür?«
    »Damit die Wachen die Stimme nicht hören«, sagte Davies-Frank. »Wissen Sie, wodurch der Schwarze Tod verbreitet wurde?«
    »Die Pest? Ratten.«
    »Flöhe. Kleine Plagegeister, lästig, aber harmlos. Hören Sie!«
    Tom lauschte. Von drinnen erklang eine Unterhaltung, ein tiefes Baritongebrumme. »Wird er verhört?«
    »Er ist allein.«
    »Er spricht mit sich

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