Alias XX
im U-Bahn-Tunnel wieder, als die Bomben fielen.«
Tom kannte den Rest der Geschichte – sie hatten im Rowansea Zugang zu Zeitungen. Eine Bombe hatte in Balham eingeschlagen, hatte ein Loch in den Boden gerissen und war mit einem dumpfen Schlag explodiert. An der Oberfläche hatte sie wenig Schaden angerichtet, so dass die Rettungskräfte einen Blindgänger vermuteten. Zwei Stunden später aber brach die Straße ein, die Hauptwasserleitungen platzten und überfluteten die darunterliegende U-Bahn-Station. Siebzig Menschen ertranken im zähen Londoner Schlick, wurden unter den Wassermassen und dem einsickernden Schlamm begraben.
»Balham«, sagte Tom. »Also haben Sie sich seiner angenommen?«
»Er zog in eine Pension. Ein geselliger Mensch, dieser Mr. Tipcoe. Lebte sich gut ein. Beschwerte sich nie. Nicht so wie manche, die sich an der Front wiederfinden und plötzlich feststellen, dass die Hunnen zurückschießen – und dann mit vollen Hosen nach Hause laufen und nicht schlafen können.«
Tom hob die bandagierte Hand. Scheiß-Highcastle. Es war kein Granatenschock, sondern Schrapnell. Er hatte sich Blei eingefangen, und vielleicht hatte er Schlafprobleme, vielleicht hatten sie ihn zu den Geistesgestörten gesteckt, aber es war kein Granatenschock. Viele hatten Schlafprobleme, wenn sie unter der Haut Metallsplitter mit sich herumschleppten.
»Nein, Tipcoe ist keiner, der sich beschweren würde«, sagte Highcastle. »Das Einzige, was ihm nicht so recht gefiel, war die Wirtin, die den Haushalt nicht so führte, wie er es von Mrs. Tipcoe gewohnt war. Meinen Sie, wir können dem Mann diese Beschwerde nachsehen?«
»Ich erlaube mir kein Urteil über etwas, was ich nicht verstehe«, sagte Tom.
Highcastle grunzte. »Dann werden Sie nicht viel zum Beurteilen haben. Der Hunne brachte Tipcoe zum Reden, oder umgekehrt. Tipcoe verbrachte ein paar Minuten mit ihm, dann noch ein paar Minuten. Der Hunne spricht perfekt Englisch – und Russisch, Französisch, Latein, Griechisch. Der Hunne hat so eine Art mit den Worten.«
Die Antwort, endlich. Sie hatten Angst vor Sondeggers Worten.
»Vor vier Tagen«, sagte Highcastle, »beginnt der Hunne von Raskolnikoff zu erzählen. Der Name ist Ihnen vertraut?«
» Schuld und Sühne. Der Mann, der …« Tom hielt inne. Der Mann, der seine Hauswirtin umbringt.
»Der Anruf kam heute Morgen. Tipcoe hat dem Hunnen zu gut zugehört – es war verdammt noch mal Mord.«
Tom folgte Highcastle nach oben in einen Flur, der nach Moder und Schweinefett roch. Die grünweißen Tapeten waren verblichen und kräuselten sich an den Rändern. Nackte Glühbirnen hingen von der Decke, Sandeimer reihten sich entlang der Wände. Zu beiden Seiten des ausgetretenen braunen Läufers, der sich durch den Flur zog, befand sich jeweils eine Holztür, eine weitere, schmalere Tür lag am Ende des Flurs, nur unzureichend durch die Tapete getarnt – eine Besenkammer, vielleicht auch der Zugang zum Dachboden. Eine vierte Tür lag direkt gegenüber der Treppe. Sie war leuchtend weiß gestrichen. Ein wuchtiger Schreibtisch blockierte fast den gesamten Flur und ließ nur einen etwa halben Meter breiten Durchgang. Auf dem Tisch stand nichts weiter als eine Kaffeetasse und ein Klingelknopf. Dahinter saß ein hagerer junger Mann, er trug eine blaue Jacke und eine Seitenwaffe. Highcastle blickte ihn finster an. »Was Neues?«
»Nichts, Sir. Ging den ganzen Morgen noch so.«
»Über den Schlüssel?«
»Und alles andere.«
Highcastle schnaubte. Er öffnete die Tür zu seiner Rechten, und Tom trat ein. An einem überfüllten Schreibtisch sah Davies-Frank von einem Stenoblock auf und fragte Highcastle:
»Sie kommen mit rein?«
»Ihre Entscheidung.«
»Dann lieber nicht.« Davies-Frank zog einen dicken Manila-Umschlag aus der obersten Schublade. »Sondegger weiß Highcastles Gesellschaft nicht besonders zu schätzen, wie Sie sich vielleicht vorstellen können.«
»Haben Sie sich um Tipcoe gekümmert?«, fragte Highcastle.
»Er wird uns überstellt.« Davies-Frank wandte sich an Tom. »Brauchen Sie noch was vor der Sicherheitseinweisung?«
»Was könnte ich noch brauchen?«
»Das.« Davies-Frank warf Tom den vollgepackten Umschlag zu. »Den Diplomatenpass Ihres Bruders haben wir nicht hingekriegt, alles andere aber ist gut.«
Im Umschlag befanden sich eine Armbanduhr, eine Brieftasche und ein Ehering. In der Brieftasche einige Scheine und ein Ausweis auf Earls Namen. Tom ließ die Geldbörse in die
Weitere Kostenlose Bücher