Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alias XX

Alias XX

Titel: Alias XX Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Ross
Vom Netzwerk:
Beleidigung war – als glaubte sie, er würde nicht für seine Angestellten sorgen. Wie ungerecht von ihr. Er forderte Respekt, aber er wusste auch um seine Pflichten. Das eine war ohne das andere nicht zu haben.
    »Ich bin kein Unmensch«, sagte er.
    »Vater«, sagte sie. »Ich brauche deine Hilfe.«
     
    Es war noch zu früh für den Tee, aber ihr Vater bestand darauf. Harriet wusste, er genoss es, wenn er sie einschenken sah – es erinnerte ihn an ihre Mutter, die er schikaniert und verhätschelt und schließlich, als Harriet elf Jahre alt gewesen war, im Kindbett verloren hatte. Sie überlegte oft, welcher Mann er jetzt wäre, hätte ihre Mutter überlebt. Sie hatte seine scharfen Kanten geglättet.
    Sie hielten sich in der Bibliothek auf, umgeben von ledergebundenen Büchern. Das Klappern eines Löffels war zu hören, der gegen angewärmtes Sèvres-Porzellan schlug, und über allem hing der Geruch des aufgebrühten Tees und des weichen Gebäcks von Mrs. Godfrey. Von Lebensmittelrationierungen war in Burnham Chase nichts zu spüren.
    Ihr Vater nippte an der Tasse und entspannte sich sichtlich. »Jetzt können wir reden.«
    Sie strich sich eine Locke hinter das Ohr. »Earl ist seit Tagen nicht mehr nach Hause gekommen. Seit über einer Woche, um genau zu sein. Ich mache mir allmählich ernsthaft Sorgen.«
    »Du hast die Botschaft angerufen?«
    »Man sagte mir, es gebe keinen Grund zur Besorgnis. Exakt das, was man auch sagen würde, wenn es Grund dazu gäbe.«
    »Harriet, du wusstest, worauf du dich einlässt, als du ihn geheiratet hast.«
    »Ja. Es ist nur – ich habe kein gutes Gefühl.«
    »Ich verstehe.« Aufmerksam, über die Teetasse hinweg, beobachtete ihr Vater sie mit seinen grauen Augen. »War Tom bei dir?«
    »Du weißt, dass er das Krankenhaus verlassen hat?«
    »Die Polizei hat angerufen.«
    »Natürlich. Er hat ein Fenster eingeschlagen. Er war im Wohnzimmer und hat auf Earl gewartet.«
    »Oder auf dich.«
    »Hmm. Er hat mir gesagt, Earl sei verschwunden. Nicht einfach verschwunden – er werde vermisst.«
    »Tom ist doch kaum eine verlässliche Quelle.«
    »Er hat … er hat gesagt, Earl hätte sich in Luft aufgelöst. In Luft aufgelöst .« Sie drehte die Tasse hin und her. »Es … ich weiß, es klingt lächerlich, aber dieser eine Satz …«
    Dieser eine Satz hatte sie bis nach Mitternacht wachliegen lassen, hatte sie vor dem Morgengrauen aus dem unruhigen Schlaf hochgeschreckt. Sie war ins Büro gefahren und hatte sechs Stunden gearbeitet, bis Mr. Uphill kam. Weitere fünf Stunden, dann war sie so erschöpft, dass sie direkt nach Burnham Chase fuhr, um ihren Vater um Hilfe zu bitten.
    »Dieser Satz«, sagte sie. »Und ein ungutes Gefühl, das ich nicht ignorieren kann.«
    »Weibliche Intuition, Harriet?«
    »Ich möchte dich bitten, dass du dich nach Earl erkundigst. Falls du jemanden in der amerikanischen Botschaft kennst, der diskret Nachforschungen anstellen kann. Nur damit ich weiß, dass er in Sicherheit ist.«
    »Ich? Du verfügst doch über wesentlich bessere Kontakte.«
    »Aber nicht zu … ganz bestimmten Amerikanern.« Behutsam stellte sie ihre Tasse ab. »Ich weiß sehr wohl, dass du den Umgang mit manchen« – sie suchte nach einem neutralen Begriff – » Individuen pflegst.«
    »Zu ganz bestimmten Amerikanern«, sagte er.
    »Ich bitte dich um deine Hilfe, Vater.«
    »Zu welchen denn? Den ehrenwerten? Den patriotischen Amerikanern?«
    »Den faschistischen.«
    »Du musst das Wort nicht aussprechen, als würde es einen sauren Geschmack in deinem Mund hinterlassen. Es gibt nichts, wofür man sich schämen muss, wenn man den Faschismus unterstützt. Die Britons, die British Fascists, die Fascist
League – allesamt britische Patrioten. Die British Union of Fascists zählt fünfzigtausend Mitglieder.«
    »Jetzt wohl nicht mehr.«
    »Und warum nicht, Harriet? Weil …«
    »Die Schlacht in der Cable Street? Die Schwarzhemden, die bei der Olympia-Kundgebung auf Gegendemonstranten losgingen?«
    »Weil«, sagte er, als hätte er sie gar nicht gehört, »es nach dem Public Order Act gesetzlich verboten ist, faschistische Uniformen zu tragen. Sich zu versammeln. Weil Rothermere durch die Kriegstreiber eingeschüchtert wurde.«
    Lord Rothermere, Eigentümer der Daily Mail, hatte ursprünglich die BUF unterstützt. »Rothermere«, sagte sie, »hat von ganz allein seine Meinung geändert, weil er in der Lage ist, zwischen Konservatismus und Faschismus zu unterscheiden.«
    »Er hatte Angst,

Weitere Kostenlose Bücher