Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
dem Wagen steigen sehen: Rolex, Ray-Ban, Bally, Montblanc. Er bewegte sich wie jemand, der mit Accessoires im Wert von einer halben Million Rupien behängt in einen Laden geht, in dem ein Viertelliter Blut der Gruppe 0 positiv zweihundert Rupien kostet. Nur den übellaunigen Fahrern der Ambulanz fällt es schwer zu akzeptieren, dass hier nicht bloß ein Fahrzeug mit skurrilem Nummernschild steht, sondern bewegliches Eigentum, das man nicht einfach irgendwo parken kann. Sie verstehen überhaupt nicht, worum es geht. Das Fahrzeug muss geschützt werden, andererseits gewährt es auch Schutz. Es nimmt einen gewissen Raum in Anspruch und schließlich in Besitz, wie ein scharfer Wachhund, der sein Revier markiert.
„Dein Verhalten gegenüber den Patienten hat sich definitiv gebessert“, lobt Schwester Hina Alvi Alice an diesem Morgen und fährt ihr unvermutet durchs Haar, ehe sie wieder ihre dienstliche Zurückhaltung einnimmt. „Aber verbessern kann man sich immer. Deshalb teile ich dich heute für einen Dienst ein, bei dem du wirklich etwas lernen kannst. VIP-Zimmer 2. Die Nachtschicht. Glaub ja nicht, du tust mir einen Gefallen. Ich tue dir einen. Immerhin hat Fatima Jinnah einmal eine Nacht dort verbracht.“
Alice ist wie vor den Kopf gestoßen, zum einen von der Unkenntnis der Geschichte ihres Arbeitsplatzes, zum anderen, weil diese Information ihr vermutlich nicht im Geringsten bei der Erfüllung ihrer Pflichten hilft. Sie fragt sich, woher Schwester Hina Alvi die Zeit nimmt, Bücher über Geschichte zu lesen. Hat sie keine Familie, um die sie sich kümmern muss? Sie braucht bestimmt schon zwei Stunden am Tag, um diese Frisur zustande zu bringen.
„Hast du ihre Briefe an ihren Bruder gelesen?“, fragt Schwester Hina Alvi und fährt fort, ohne eine Antwort abzuwarten. „Wusstest du, dass Fatima Zahnärztin war, studierte Zahnmedizinerin? Dennoch hat sie ihr ganzes Leben diesem Land gewidmet. Und wie sehen wir sie? Als alte Jungfer. Sie hat uns ihr Leben geweiht, und wie nennen wir sie? Mutter der Nation. Aber wenn ihr Bruder schon der Vater der Nation war, wie kann sie dann die Mutter sein? Man hätte sie ja auch Schwester der Nation nennen können, aber nein. Denn dann hätten die Leute sie vielleicht für eine Krankenschwester gehalten, eine von uns. Wir sind eine Nation von Perversen, das sage ich dir!“
Alice pflichtet ihr bei. Schwester Hina Alvi mag eine Zwangsneurotikerin sein, aber Sinn für historische Zusammenhänge hat sie.
Alice fragt sich, warum so bedeutende Patienten überhaupt im Herz Jesu liegen. Warum nicht im Aga Khan Hospital, wenn man schon nicht nach Singapur oder Bangalore gehen kann, wo die Krankenhäuser wie Ferienhäuser sind, mit Küche, Swimming Pool und allem.
„Alter Geldadel“, sagt Schwester Hina Alvi. Und ihr Blick sagt: Aber was weißt du schon von solchen Dingen. Ihr Tonfall beschwört gebohnerte Parkettböden, Wände mit Auftragsporträts, aus zentralasiatischen Dörfern übernommene Familiennamen und Tresore voller Geldbündel und Geheimnisse. „Ihr Vater ist hier gestorben, und ihre Kinder sind hier geboren“, erzählt sie. „Sie gehört nicht zu diesen neureichen Im- und Export-Typen, die prahlen, dass ihr Vater im Cromwell Hospital gestorben ist. Sie hat Wurzeln. Und diese Wurzeln sind hier.“
Alice Bhatti hat eine Vision vom Old Doctor, dem Pipalbaum im Hof: Sein Stamm besteht aus glänzendem Hilux-Metall, seine Äste sind verbogene Kalaschnikows, und kleine Vögel in schwarzen Uniformen, dunklen Sonnenbrillen und übergroßen Baretts hüpfen von Ast zu Ast. Schwester Hina Alvi sieht, wie ein Lächeln sich auf ihrem Gesicht ausbreitet.
„Du gehst in ein Sterbezimmer und nicht zu einem Picknick“, ermahnt sie Alice. Dann setzt sie sich ihre Brille auf die Nase und breitet die Zeitung vor sich aus.
Das Leben hat Alice Bhatti gelehrt, dass jedem kleinen Fortschritt eine rituelle Demütigung vorausgeht und jede kleine Freude eine Anzahlung erfordert. Zu viele Demütigungen und Umwege bedeuten, dass ihr Schicksal sich ständig in den roten Zahlen bewegt. Sie hat sich damit abgefunden. „Ich werde mein Bestes tun.“
„Sie heißt Begum Qazalbash, möchte aber mit Qaz angesprochen werden. Sie ist im Kloster aufgewachsen und eine sehr selbstständige Dame. Sie stammt aus einer Familie, in der bereits die sechste Generation von Männern nicht für ihren Lebensunterhalt arbeiten muss“, sagt Schwester Hina Alvi, ohne den Blick von der Zeitung zu heben.
Der
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