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Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Titel: Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohammed Hanif
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der zu besagen scheint: Wie kann ein Mensch nur so fett und hässlich sein und in einer derart mit Schuppen bedeckten Robe Gericht halten?
    Joseph Bhatti blickt sich im Gerichtssaal nach Bekannten um. Da es bei diesem Fall nicht um religiöse Diskriminierung, Gotteslästerung oder Streitigkeiten um Grund und Boden der Kirche geht, ist niemand von den „Anwälten des Herrn“ oder von einer anderen Menschenrechtsorganisation aufgetaucht. Alice Bhatti weicht dem Blick ihres Vaters aus. Er spürt einen Stich, hat das Gefühl, gescheitert zu sein. Es ist ein bisschen wie ein Besuch bei einem alten Freund, der einmal Straßenfeger war, bei dem sich herausstellt, dass er eine Wäscherei voller makelloser, weißer Waschmaschinen eröffnet, ein Neonschild angebracht und andere Straßenfeger zum Saubermachen angeheuert hat. Oder zufällig anderen zu begegnen, die versucht haben, eine profitable Lücke in der Nahrungskette der Kirche zu finden, die Robe angelegt haben und im Begriff sind, irgendwo Bischof zu werden, oder dem Herrn in einem malerischen Dorf in Italien dienen. Er hat die Postkarten gesehen, die sie geschickt haben, und Yasu schien ihm auf einmal nicht mehr als ewiger Retter der Menschheit, sondern als eine Art Visumsbeamter. Auch Leute aus dem Bhatti-Clan haben sich mit dem Erfolgsvirus infiziert. Joseph Bhatti hat erlebt, dass ihre Söhne und Töchter Köche in Vier-Sterne-Hotels, Ärzte, Gitarristen und sogar Professoren wurden. Dass sie Musla-Namen annahmen, aus French Colony fortzogen und zu Angehörigen einer völlig anderen Spezies wurden. Er hat diesen Ehrgeiz nie gespürt. „Ich bin nicht stolz auf das, was ich tue, aber ich schäme mich auch nicht deswegen. Das bin eben ich“, hatte er zu Alice gesagt, als sie in den Kindergarten kam. Er sparte für sie, schickte sie zur Schule, träumte aber nicht von einem Alter, in dem er zu Hause sitzen und von ihrem Einkommen leben würde. Allerdings hätte er nie auch nur im Traum daran gedacht, dass er einmal in einem Gerichtssaal sitzen würde, weil seine Tochter des versuchten Mordes angeklagt war. Er war ein häufig abwesender Vater gewesen, fast hatte er sich geschämt, zu einer Tochter nach Hause zu kommen, die versuchte, sich wie ein Sohn zu verhalten, und – wie es das Schicksal von Söhnen ist – seinen Erwartungen nicht entsprach.
    Der Gerichtsdiener kündigt die Verhandlung des Staates gegen Alice Bhatti an: Alice Bhatti hazir ho . Alice betritt mit hoch erhobenem Kopf und klirrenden Handschellen die Anklagebank und starrt den Richter herausfordernd an.
    Da ist sie, sagt sich Joseph Bhatti mit einem gewissen Stolz. Meine Tochter. „Ihre Tochter ist sehr hübsch“, flüstert ihm der Anwalt ins Ohr. Joseph wird traurig: Das ist alles, was seine Tochter kann, hübsch aussehen und achtzigjährige Chirurgen zusammenschlagen. Als gäbe ihre Schönheit ihr das Recht, sich schlecht zu benehmen. Was ist das für ein Vater, der stolz darauf ist, dass seine Tochter in einem Gerichtssaal umherstolziert und der schweren Körperverletzung mit Tötungsvorsatz angeklagt ist?
    Joseph Bhatti war den größten Teil seines Lebens mit Verdächtigungen und Vorwürfen konfrontiert. Welcher Kanalreiniger geht seiner Arbeit auch an freien Tagen nach? Welcher Christ geht am Sonntag nie zur Messe? Welcher Bhatti zieht herum und heilt Magengeschwüre, indem er Kerzen anzündet und Musla-Verse zitiert? Als sein Rücken noch gerade war und er noch regelmäßig reines Opium nahm, pflegte er sich in die Brust zu werfen und zu antworten: „Ein richtiger Mann. Joseph Bhatti Chura. Wir waren hier, lange bevor die Christen und die Muslas kamen. Sogar noch vor den Hindus waren wir hier. Ich bin nicht nur ein Sohn dieser Erde, ich bin diese Erde. Ja, ich bin Joseph Bhatti Chura.“
    Erst als Alice Bhatti abgeführt wird und S.M. Qadri ihm unter weitschweifigen Erklärungen ins Ohr flüstert, das Gesetz sei die ewige Hure derer, die sie bezahlen könnten, begreift Joseph Bhatti, dass man Alice für schuldig befunden und zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt hat.
    Als der Richter seinen Platz verlässt und alle im Saal sich erheben, bleibt Joseph Bhatti aus hilflosem Trotz sitzen. In der Hoffnung, Alice würde ihm einen Blick zuwerfen, vielleicht winken, anerkennen, dass er gekommen ist und einen Rechtsanwalt mitgebracht hat, sieht er zu ihr hin. Alice dreht sich auch wirklich um, doch sie starrt nur den Richter an, spuckt auf den Boden und eilt nach draußen – den zwei dicken

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