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Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Titel: Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohammed Hanif
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Polizistinnen voran, die vergeblich mit ihr Schritt zu halten versuchen.
    Alice wird vier Monate früher entlassen, nicht weil Hochwürden Philip sich für sie eingesetzt hätte, wie die Leute denken, sondern weil das Strafmaß sämtlicher weiblicher Gefangener um vier Monate reduziert wird, wenn jemand Wichtiges stirbt. Joseph macht ihr ein Omelett und stellt es vor sie hin, als hätte sie bei einer Freundin übernachtet und sich über das schlechte Essen dort beklagt.
    „Ich habe im Hauptabwasserkanal der Ideal Housing Society ein Baby gefunden“, erzählt er und schiebt ihr eine kalte Scheibe Toast hin. Es ist ungewohnt für Alice, dass er mit ihr über seine Arbeit spricht. Sie ist es überhaupt nicht gewohnt, darüber zu sprechen. In der Besserungsanstalt hatte sie auf alle Fragen nach ihrem Vater pauschal geantwortet, er arbeite bei den Stadtwerken. Und dann die Gegenfrage gestellt: „Und was macht dein Vater? Arbeitet er nicht bei der Stadt?“ In einem Ton, als wäre jeder, der nicht bei der Stadt beschäftigt war, ein obdachloser Bettler.
    „Es war in einer Plastiktüte, nur so groß.“ Er fährt mit der Hand seinen Unterarm entlang, um ihr die Größe des Babys in der Plastiktüte zu demonstrieren. „Nicht viel größer als ein Katzenjunges.“
    „Junge oder Mädchen?“
    „Mädchen. Ich glaube, das war ein Zeichen.“
    Alice schiebt ihren Teller beiseite. Sie kommt sich vor wie in der Besserungsanstalt, wo sie sich jeden Mist anhören musste. Aber jetzt ist Schluss. „Ein Zeichen für was? Für mich ist das höchstens ein Zeichen dafür, dass eine Frau nirgendwohin kann, um ihr Baby zu bekommen, nicht einmal, wenn die Fruchtblase schon geplatzt ist. Ein Zeichen dafür, dass menschliches Leben hier einfach ins Klo gespült wird. Ein Zeichen, dass die Welt auf Zeichen scheißt.“ Innerlich erteilt sie sich eine Rüge für diesen Ausdruck. Aber in der Besserungsanstalt konnte man keinen Satz ohne dieses Wort sagen, wenn man gehört werden wollte.
    Alice kann Josephs neue Vorliebe für Zeichen, Symbole und wirre Glaubenslehren, die er aus irgendwelchen Predigten aufgeschnappt hat, nicht begreifen. Denn er war immer stolz darauf gewesen, ein Chura zu sein, ein unbeugsamer Unberührbarer, ganz anders als die frommen Katholiken, die jeden Sonntag geschniegelt zur Kirche gingen. Als Dr. Pereira im Rahmen seiner Gemeindearbeit versuchte, Joseph Bhatti das Opium auszureden, hatte er gesagt: „Mein ganzes Leben lang nennt man mich einen Bhangi , da darf ich ja wohl ein bisschen Bhang zu mir nehmen.“ Und als Dr. Pereira gegangen war, schimpfte er auf ihn. „Der hat’s nötig, uns zu predigen! Wir sind die Kinder dieser Erde, wir leben hier schon seit Tausenden von Jahren. Und was sind die? Kachra aus Goa, Strandgut, vom Arabischen Meer an Land geworfen. Und dann reden sie uns ein, wir seien Yasus Kinder, obwohl sie sich dafür schämen, dass wir ihre Brüder im Glauben sein sollen. Manieren wollen sie uns beibringen. Wofür halten die sich? Unsere Kindermädchen? Immerhin wissen wir, wofür sie uns halten. Für Leute, die die Kacke von anderen wegwischen. Stimmt ja auch, aber was sind sie dann? Die Kacke!“
    Unvermittelt wird Joseph Bhatti klar, dass seine Tochter Alice soeben von einer vierzehnmonatigen Haftstrafe nach Hause zurückgekehrt ist. Er findet, er sollte ihr von seinem Leben erzählen und ihr einige väterliche Ratschläge geben. „Ich habe ein paar Wochen bei deinem Dr. Pereira die Rohre geputzt. Um mich für seine Hilfe zu revanchieren. Für die vielen Petitionen, die er eingereicht hat. Sie haben mir das Essen auf besonderem Chura-Geschirr gegeben und sich danach die Hände gewaschen, als hätte ich Lepra. Sie sind immer im Bogen um mich herumgeschlichen, weil sie dachten, wenn ich etwas anfasse, ist es verseucht. Da kümmere ich mich lieber um die Abflussgräben draußen, denn die Straßen gehören mir. Ist dir aufgefallen, dass die Leute, wenn ich mit meinem Bambus ankomme, die Straßenseite wechseln, um meinem Schatten auszuweichen? Wovor haben sie Angst? Von ihrem eigenen Unrat verseucht zu werden?“
    „Die anderen kenne ich nicht, aber Dr. Pereira ist ein anständiger Mensch. Er war der einzige Zeuge bei meiner Verteidigung und hat sogar meine Kaution bezahlt.“
    „Darin sind sie gut. Sich fein machen und bei allen möglichen Ereignissen auftauchen: Verhandlungen, Versammlungen, Gottesdiensten, Beerdigungen.“
    Mittlerweile weiß Alice Bhatti, dass ihr Vater mit „sie“

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