Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
ist.
Seit ich Sie gesehen habe, will Teddy eigentlich sagen, aber das hat er nicht eingeübt. Er ist noch nicht so weit.
„Einschlafen kann ich, aber dann träume ich und wache auf“, sagt er, erleichtert, einen ganzen Satz zustande gebracht zu haben, ohne vom Hocker zu fallen.
Alice hätte ihn gern zur OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik) auf die Charya-Station geschickt, wo man sich mit Träumen beschäftigte. Auch wenn der ganze Laden ein Albtraum war. Aber sie weiß, dass Teddy ihr Patient sein will, und Oberschwester Hina Alvi hat ihr beigebracht, dass man Patienten zuhören muss, auch wenn ihre Symptome eindeutig erfunden sind. Also fährt sie mit der Diagnose fort.
Außerdem erkennt sie den Lauf einer Pistole im Schritt seiner gelben Adidas-Hose, was den Eindruck einer Missbildung hervorruft. Es sieht aus, als hätte er zwei Schwänze.
„Was träumen Sie denn?“
Teddy hat immer nur einen Traum. Den von dem Fluss. Auf dem Gott in einem Kaftan steht. Der Traum geht immer schlecht aus. Noch im Ertrinken erkennt Teddy, dass er nicht einmal im Traum übers Wasser gehen kann. Gott steht am Rand des silbernen, völlig begehbaren Flusses und schüttelt enttäuscht den Kopf, wie um zu sagen: „Es ist dein Traum, was erwartest du von mir?“ Doch Teddy findet es irgendwie unangemessen, Gott, dessen Kaftan und Seine Enttäuschung über ihn zu erwähnen. „Ich träume von einem Fluss.“ Gott lässt er aus dem Spiel.
„Aha, von einem Fluss?“ Alice klopft mit dem Stift auf den Aktenhefter, ohne zu notieren.
Teddy hat das Gefühl, dass sie ihm damit sagen will, sein Traum sei nicht krank genug.
„Es ist ein Fluss aus Blut. Rot.“
Alice sieht ihn interessiert an. Dieser Teddy mag ein Polizeischlepper sein, aber er hat eine poetische Ader.
„Gibt es auch Boote auf Ihrem Fluss?“, fragt sie und lächelt ihm ermunternd zu. Als fordere sie ihn auf, mehr von seinem Traum mit ihr zu teilen und dann für sie zu weiterzuträumen. Teddy nimmt die Herausforderung an. „Leichen treiben darin herum und abgeschlagene Köpfe, die auf den Wellen tanzen.“ Er merkt, dass sein Traum nicht sehr romantisch klingt. „Und auch ein paar Blumen.“
„Erkennen Sie einen der Menschen im Fluss? In Ihrem Traum, meine ich.“
Teddy schließt die Augen, als bemühe er sich, ein Gesicht zu erkennen. Er hatte gehofft, dass seine nächtliche Sehnsucht nach Alice und seine Schlaflosigkeit sich zu einer dichterischen, himmelsstürmenden Liebeserklärung verbinden und durch die Gänge des Krankenhauses hallen würden. Stattdessen ist er nun bei einem ausschmückenden Detail eines Albtraums hängen geblieben.
„Ich kann Ihre Träume nicht abstellen, aber ich kann Ihnen etwas geben, damit Sie besser schlafen. Und wenn Sie besser schlafen, haben Sie vielleicht irgendwann auch angenehmere Träume.“ Sie füllt ein Rezept für Lexotanil aus und legt es neben sich. „Ich habe sogar welches hier. Nehmen Sie eine, bevor Sie schlafen gehen. Aber nicht auf leeren Magen. Und keine warme Milch in der Nacht. Übrigens kann auch eine schlechte Verdauung Albträume hervorrufen.“ Alice lächelt ihm kurz zu. „Außerdem sollten Sie den Verband an Ihrem Daumen wechseln. Hoffentlich haben Sie sich nicht in einem bösen Traum verletzt.“ Nachdem sie sich abgewendet hat, fährt sie mit dem Zählen der Spritzen fort und widmet sich ihnen mit so bemühter Konzentration, als hinge von der korrekten Zahl die Gesundheit der Nation ab.
Am folgenden Morgen torkelt Teddy Butt schläfrig und mit verschleiertem Blick in die Aufnahme. Seine Stimme klingt, als spreche er unter Wasser. Er bewegt sich träge, wie in Zeitlupe. Selbst der Lauf der Waffe in seiner Hosentasche wirkt schlaff. „Geträumt habe ich nicht. Aber was haben Sie mir da gegeben? Was haben Sie in diese Pillen gemischt?“ Seine Worte wirken anklagend, aber der Ton ist dankbar.
„Gar nichts, die waren originalverpackt. Sie sind gegen Schlaflosigkeit. Wollen Sie noch mehr?“ Alice greift in ihre Schublade und hält inne. Ihr fällt auf, dass er ein kleines Kreuz an einer Goldkette um den Hals trägt. Sie fühlt plötzlich eine leichte Gereiztheit, wie Einheimische sie empfinden, wenn Touristen sich kleiden wie sie. „Was ist das für ein Ding, das Sie da tragen?“
„Bloß so ein Medaillon. Ein Freund aus Dubai hat es mir geschenkt.“ Der Mann, dem Teddy das Kreuz vom Hals gerissen hat, war tatsächlich ein Besucher aus Dubai gewesen, dem man wegen eines
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