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Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Titel: Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohammed Hanif
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macht, vorbei an den Fahrern, die die Abendzeitungen zerfleddern, vorbei an den Junkies, die auf eine versehentliche Spende aus der Krankenhausapotheke hoffen. Auf der Straße angekommen, streckt Teddy den Arm aus und feuert die Mauser ziellos ab.
    Die Stadt wird drei Tage lang stillstehen.
    Die Kugel trifft die rechte Schulter eines Lastwagenfahrers, der nach achtundvierzigstündiger Reise soeben in der Stadt eingetroffen ist. Der Mann lässt gerade den Arm aus dem Fenster der Fahrerkabine hängen und trommelt mit der Hand gegen die Tür. Zwischen den Fingern hält er einen gut gerollten Joint, den er an der Seite angeleckt hat, um ihn noch geschmeidiger zu machen – die rituelle Belohnung, die er sich stets am Ende einer langen Fahrt gönnt. Er wirft einen ärgerlichen Blick auf seine Schulter. Es fühlt sich an, als hätte ihn eine Biene gestochen, die er den ganzen Weg von seinem Dorf mit hierher transportiert hat. Er fasst sich mit der Linken an die Schulter und merkt, dass sein Hemd von einer roten, klebrigen Flüssigkeit durchtränkt ist. Erschrocken steigt er auf die Bremse. Eine Rikscha hinter ihm versucht noch, dem ausbrechenden Lastwagen auszuweichen, bleibt aber in dessen Doppelbereifung von Goodyear hängen und wird einige Meter mitgeschleift. Die fünf Kinder darin, alle zwischen sieben und neun Jahren, in den adretten blau-weißen St.-Xavier-Schuluniformen, verwandeln sich in ein zuckendes Chaos aus gebrochenen Schädeln, Blut, Buntstiften und Buffy-der-Vampirkiller-Proviantschachteln. Der Lastwagen kommt zum Stehen, nachdem er einen Obstkarren gestreift hat und die Pyramide aus den letzten Guaven der Saison umgekippt ist. Zwischen zwei Goodyears steckt ein Kinderschuh.
    Schulhefte werden durchgeblättert, Taschen nach Hinweisen auf die Identität der Opfer durchsucht. Immer mehr Menschen versammeln sich um den Laster. Benzin wird abgesaugt und tröpfelt auf die Ladung – drei Tonnen rohe Erdnüsse. Teddy mit dem gebrochenen Herzen und der Lastwagenfahrer mit der blutenden Schulter wissen, was geschehen wird, noch ehe die Menge einen Entschluss gefasst hat. Unauffällig mischen sie sich unter die Leute und gehen dann in entgegengesetzte Richtungen davon.
    Eine Stunde später trifft ein einzelner Feuerwehrwagen ein. Er wird jedoch mit Steinen beworfen und muss umkehren. Der Laster und seine Fracht schwelen zwei Tage lang.
    In einem Haus, dreißig Kilometer entfernt, läutet das Telefon. Eine Großmutter rennt schreiend und sich an die Brust schlagend auf die Straße. Zwei Motorräder werden gleichzeitig angetreten. Ein halbes Dutzend Kanister Kerosin werden in einen klapprigen Suzuki-Laster gehievt. Ein Neunzehnjähriger wühlt unter seinem Kissen eine Tokarew hervor, entsichert sie, rennt auf die Straße und schwört lauthals, die Mütter aller Paschtunen im ganzen Land zu vergewaltigen. Ein Händler für gebrauchte Reifen will seinen Laden noch rasch verriegeln, aber die jungen Männer mit ihren Eisenstangen und Fahrradketten sind bereits da. Ein Polizeiwagen rast mit Sirenengeheul zum Haus des Polizeichefs. Ein Hubschrauber fliegt den Strand ab, wie um das Arabische Meer gegen den Gestank nach verbranntem Gummi zu schützen, der sich in der Stadt ausbreitet. Ein alter Colonel aus Colonel’s Colony, der seinen Hund spazieren führt, fordert den nämlichen auf, sich bei der Verrichtung seines Geschäfts zu beeilen. Ein Bankkassierer wird erschossen, weil er gelächelt hat. Die leeren Straßen veranlassen Scharen von Milanen und Krähen, ihre Nistplätze zu verlassen und die streunenden Hunde zu jagen, die ihre Schnauzen mit freudigem Gebell gen Himmel richten. Fünf Kindersärge bleiben drei Tage leer, da alle Krankenwagen beschossen und verjagt werden. Die Wracks abgefackelter Busse, Rikschas, sowie die gelöschten Ruinen von Paan-Läden und mindestens eines Kentucky Fried Chicken scheinen sich beruhigend auf die Stadt auszuwirken. Die Zeitungen kündigen eine „schleppende Rückkehr zur Normalität“ an, als hätte die Normalität einen Picknickausflug gemacht, sich dabei den Knöchel verstaucht und müsste sich nun zurückschleppen.
    Während der dreitägigen Ausgangssperre werden weitere elf Menschen getötet, zwei von ihnen erschossen und später zusammengebunden in einem Jutesack auf einer Müllhalde gefunden. Suzukis, Toyotas und Hinopaks im Wert von drei Milliarden Rupien sind verbrannt. Alice hat in diesen Tagen eigentlich gar nicht so viel zu tun. Wenn Leute getötet werden, während sie

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