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Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt

Titel: Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohammed Hanif
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ihre Satellitenschüssel auf dem Dach reparieren, oder ihr Motorrad angezündet wird, wenn sie gerade einen Liter Milch kaufen, denkt meist keiner mehr an Krankheiten. Man lernt, ohne Dialyse zu leben, behandelt kleinere Verletzungen mit Hausmitteln und betet, anstatt sich Medikamente verschreiben zu lassen. Alice hat Zeit, sich hinzusetzen, Pause zu machen, um richtig zu Mittag zu essen und zu beten. Zwischen der Versorgung von Schusswunden und dem Saubermachen der Notaufnahme findet sie immer ein paar ruhige Momente, in denen sie an den verängstigten Mann mit der Mauser und seine verrückte Geschichte vom verschwundenen Mond denkt. Sie fragt sich, ob er von den Unruhen betroffen ist und ob er noch Albträume hat. Und sie fragt sich, ob sie in einem davon vorkommt.
    Am Abend des vierten Tages radelt ein Fischer langsam über den Kiesstrand. Aus seinem Korb quillt ein selbstgemachtes Netz. Er kehrt der Stadt den Rücken zu und hält einen Zeh ins Meer. Das kalt-warm-kalte Gefühl sagt ihm zu, er krempelt seine Hose hoch und macht sich daran, sein Netz für die Nacht auszulegen.

neun
    Oberschwester Hina Alvi mustert Alice Bhatti, ohne ihr einen Platz anzubieten, so als sehe sie sie zum ersten Mal oder als sei ihr noch nie der Gedanke gekommen, dass die junge Schwester etwas anderes tun könnte, als ausdrückliche Befehle auszuführen.
    Hina Alvi faltet sich in beschleunigtem Vorlauf ein Paan und kaut grimmig darauf herum, statt ihn wie sonst in der Backe zu bunkern. Ihre Stimme klingt gereizt und nervös. „Dass die Familie Qaz keine Anzeige erstattet und auchkeine offizielle Beschwerde anstrengt, bedeutet noch nicht, dass sie die Sache auf sich beruhen lässt“, sagt sie. „Deine Lage wird dadurch nur bedrohlicher. Denn das heißt, sie wollen sich auf ihre Weise um dich kümmern.“
    Alice Bhatti hat den Vorfall im VIP-Zimmer 2 weder Schwester Hina Alvi noch sonst irgendjemandem gemeldet. Sie ist anschließend einfach nach Hause gegangen, als hätte sie eine kleine Operation durchgeführt oder einem Patienten eine Tetanus-Spritze verpasst. Sie hatte gehofft, dass kein achtbarer Mann – und wenn Junior mit seinen Leibwächtern, den rohseidenen Anzügen und der Mutter, die in demselben VIP-Zimmer stirbt, in dem sie ihn geboren hat, nicht achtbar ist, wer dann? – sich wegen eines kleinen Schnitts in seinem Intimbereich beschweren würde. Und sie hatte recht. Er hat sich nicht beschwert. Und nun sagt Schwester Hina Alvi, dass sie Angst haben muss, weil er es nicht getan hat.
    „Eigentlich hätte doch ich mich beschweren sollen. Ich habe es aber nicht getan, weil ich dachte, Begum Qaz wäre Ihre Freundin.“
    Schwester Hina Alvi wirft ihr einen gekränkten Blick zu, als hätte Alice sie beschuldigt, Mitglied in einem Zuhälterrings zu sein. „So alt bin ich auch wieder nicht. Jetzt setz dich und erzähl mir, was passiert ist.“
    Leute von der Nachtschicht hatten Schreie gehört. Patienten, die in den Gängen schliefen, hatten vermutet, im VIP-Zimmer läge jemand im Sterben. Sie hatten gesehen, wie Schwester Alice Bhatti herauskam und kopfschüttelnd ihre Handschuhe auszog, als hätte sie eben eine Patientin verloren, die vielleicht noch zu retten gewesen wäre. Kurz darauf sei ein Mann, ein weißes Krankenhauslaken in seinen Schritt pressend, aus dem Zimmer zu seinem Wüstenteufel-Surf gerannt. Die Zeugen hatten diese Ereignisse zu einer ihnen plausibel erscheinenden Erklärung verknüpft: Schwester Alice Bhatti und der Mann mit dem Laken hatten sich in dem VIP-Zimmer abartigen Sexspielen hingegeben und waren zu weit gegangen. Solche Leute wollten nicht mal am Totenbett ihrer eigenen Mutter auf ihr Vergnügen verzichten, das war ja bekannt. Vielleicht war die sterbende Mutter sogar Teil des Vergnügens. Einem Gerücht zufolge hatte Alice Bhatti in der Hitze ihrer Leidenschaft dem Mann etwas abgebissen und es mit nach Hause genommen. Ihr Liebhaber hatte sie bis an den Rand von French Colony gejagt, aber aufgeben müssen, da es unmöglich war, dort jemanden zu verfolgen. Selbst wenn dir jemand den Schwanz abschneidet und damit verschwindet, gehst du da nicht rein. Dann gab es noch die, die bei solchen Vorfällen immer einen Schuss hören. Diese schworen also bei Allah, sie hätten einen Schuss gehört. Niemand glaubte auch nur im Entferntesten an die Behauptung von Seniors Leibwächtern, es habe sich lediglich um einen kleinen Unfall in der Toilette des VIP-Zimmers gehandelt, bei dem sich ein Schuss aus Juniors

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