Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
Oder: Du kannst alles tun, was du willst, aber bring mein Haar nicht durcheinander. Kannst du dir wenigstens die Hände waschen? Von denen musst du zwei überziehen, die sehen so dünn aus. Beeil dich, der letzte Bus geht in einer Stunde. Oder: Was hetzt du denn so? Ich brenne schon nicht mit deinem Geld durch. Nicht unvertraut sind ihm auch eisige Passivität und stumme Tränen, als sehnten sich die Frauen nach einem Ort, den irgendein obskurer Krieg ausgelöscht hatte.
Doch Alice Bhatti umarmt ihn auf eine Weise, wie Männer einander umarmen. Mit ausgebreiteten Armen und offen dargebotener Brust.
Es geschieht ohne Vorankündigung, nichts hat sich aufgebaut, nicht einmal richtig geküsst hat er sie. Kaum hat er sie berührt, erschauert er, und ein nasser Fleck breitet sich wie verschüttete Tinte auf seinem gestärkten Shalvar aus. Ein paar Tropfen rinnen ihm bis zum Knöchel. Teddy ist der Typ Mann, der nichts mehr hasst als seinen eigenen Samen. Deshalb liegen stets einige Handtücher auf seinem Nachttisch bereit. Doch angesichts der Girlanden aus Plastikblumen, der echten Rosenblüten auf dem Bett und der schwer atmenden Alice in seinen Armen muss er so tun, als wäre nichts passiert. Er umfasst sie enger, um zu verhindern, dass die skandalöse Information sie erreicht.
„So etwas kann passieren, das weiß ich“, sagt Alice und reibt ihr Kinn an seinem Hals.
„Was kann passieren? Was ist passiert?“ Ihr Wissen erschreckt ihn. Er fragt sich, woher sie das weiß, und plötzlich dämmert es ihm. Was weiß sie sonst noch? Er kennt sie ja kaum. Wo und wie hat sie das gelernt? Jetzt steht sie da und kuschelt sich mit gespieltem Mitgefühl an ihn. Sie weiß, dass so etwas auch anderen Leuten passiert. Aber woher? Sie war doch noch nie verheiratet. Wie kann er sicher sein? War sie mit anderen Männern zusammen? Plötzlich hat er das Gefühl, sie sei mitschuldig an jeder vorzeitigen Ejakulation in der Stadt.
„Das ist also schon mal passiert? Dir? Ich meine, jemandem mit dir?“
„Natürlich nicht.“ Alice versucht die Sittsamkeit heraufzubeschwören, die ihr, wie sie meint, als Braut zukommt. „Aber ich war auf der Schule“, fügt sie erklärend hinzu.
„Und dort bringen sie euch so was bei?“
„Vergiss nicht, ich war auf einer Schule für Krankenschwestern.“
„Aber trotzdem, was ist das für ein Kurs, wo man so was lernt? Zeichnen sie Bilder davon? Das ist doch eigentlich keine Krankheit? Oder ist das eine Krankheit?“
„Natürlich nicht. Es wird auch nicht ausdrücklich gelehrt. Ich weiß es einfach. Und ich weiß auch, was danach passiert.“ Sie greift in Teddys Hose und tastet darin herum. Sein Schritt und seine Oberschenkel sind enthaart.
„Ich muss auf die Toilette.“ Teddy schnappt sich vom Nachttisch ein Handtuch und eilt davon. „Und wo bleibt der Tee, den du mir versprochen hast?“
Um drei Uhr morgens sitzt er gewaschen und angezogen auf der Bettkante und spielt mit einem Taschentuch.
„Komm ins Bett und schlaf“, sagt Alice.
„Ich muss zur Arbeit.“
„Um diese Zeit? Welche Schicht beginnt denn um drei Uhr morgens?“
„Eigentlich beginnt sie um vier. Bei Polizeieinsätzen gibt es keine festen Uhrzeiten.“ Teddy hat das Gefühl, bereits zu viel gesagt zu haben. „Das ist keine Arbeit, die man mit nach Hause nehmen kann.“ Kommissar Malangis Rat fällt ihm ein: „Das ist keine Arbeit, über die man beim Essen mit der Familie spricht. Ich werde abgeholt.“
Er findet diese Erklärung ausreichend. Sie dürfte ihr auch vermitteln, dass es sich nicht um irgendeinen niederen Posten handelt. Er muss nicht mit dem Bus zur Arbeit fahren. Es geht um einen offiziellen Auftrag. Ein offizielles Fahrzeug ist auf dem Weg, um ihn zur Arbeit zu bringen.
Aber es ist erst Viertel nach drei. Er wünschte, es wäre schon vier. Oder zumindest, dass Alice schon richtig eingeschlafen wäre. Der Gedanke, dass er von nun an nicht mehr nur für seinen eigenen Schlaf verantwortlich ist, sondern auch für ihren, bedrückt ihn.
Er betrachtet ihr Gesicht. Irgendwann schläft sie doch und lächelt im Traum. Er findet die Ehe nicht fair. Er trägt Verantwortung für ihren Schlaf, hat aber keine Kontrolle über ihre Träume.
vierzehn
Als der Hilux des G-Korps quietschend vor dem Al-Aman-Apartmentkomplex zum Stehen kommt, schläft Alice Bhatti fest. Ihr Kopf liegt in Teddys Schoß. Alice Bhatti gehört nicht zu den Mädchen, die damit aufwachsen, sich verschiedene Szenarien ihres künftigen
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