Alice Bhattis Himmelfahrt - Hanif, M: Alice Bhattis Himmelfahrt
rote Ampel beobachtet, über der der Countdown der roten Zahlen langsam voranschreitet. Er hat seine Baseballmütze tief ins Gesicht gezogen, und Malangi ahnt mit der Intuition eines alten Polizeiveteranen, dass er den Jungen schon einmal gesehen hat. Andererseits sehen die Jungen in diesem Alter alle gleich aus: Opfer einer herrschenden Mode ohne Individualität.
Einen Moment lang empfindet Kommissar Malangi es als Ironie, dass er just an dem Tag von Straßenjungen überfallen wird, an dem er aus dem G-Korps ausscheidet, seine Uniform und die staatseigene Beretta abgegeben hat, um ein Leben als gesetzestreuer Bürger zu beginnen, harmlos und verantwortungsbewusst, wie aus einer Werbebroschüre für Lebensversicherungen. Er sieht zu einem einzelnen Verkehrspolizisten hinüber, der am Straßenrand steht und im Schatten eines Baumes Kühlung sucht. Ihm wird klar, dassan seiner Situation nichts Ironisches ist. Wahrscheinlich werden in diesem Moment Hunderte von Menschen im ganzen Land mit Pistolen bedroht. Was soll an ihm so besonders sein? Jugendliche Wegelagerer sehen es dir nicht an der Nase an, dass du vor zwei Stunden noch ein gefürchteter Bulle und Chef einer Elite-Einheit der Polizei warst. Und das ist auch gut so, denn wenn sie wüssten, wen sie da in der Schusslinie haben, könnten die jungen Hitzköpfe vielleicht noch auf Ideen kommen.
Kommissar Malangi hat seinen letzten Nachmittag im Amt damit verbracht, Unerledigtes zu erledigen: Zwei Gefangene werden in juristischen Gewahrsam überstellt, ein weiterer darf gehen. Er rennt, da er fürchtet, von hinten erschossen zu werden, aber Kommissar Malangi steht nur da und wartet, bis er um eine Ecke verschwunden ist, kehrt dann ins Büro zurück und macht sich daran, seinen Schreibtisch auszuräumen. Er sieht gerade die Schubladen durch, als Teddy auftaucht. Er wirkt ratlos, wie ein Haustier, dessen Besitzer beschlossen hat, umzuziehen und es zurückzulassen. Kommissar Malangi erkennt, dass hier jemand ist, um den er sich kümmern muss. Zu Teddy kann er nicht einfach sagen, dass er jetzt frei ist und gehen kann, wohin er will. Wo soll er denn hin? Die anderen Mitglieder des G-Korps haben ihren Beruf, sie können selbst für sich sorgen. Aber dieser Junge braucht seine Hilfe. Teddy trägt den linken eingegipsten Arm in einer Schlinge um den Hals. Kommissar Malangi wirft einen traurigen Blick auf den Gips, fragt aber nicht, wie Teddy sich verletzt hat. Mit dem Ende seiner beruflichen Laufbahn ist jedes Interesse an menschlichen Angelegenheiten in ihm erloschen. Wen schert es, warum Leute sich oder andere erschießen? Es gibt immer einen Grund. Einen guten Grund. Oder einen schlechten.
Schon wieder ein Mann, der nicht mehr weiß, ob er einer ist oder nicht, denkt Malangi. Eine Frau kann dir das antun, besonders eine Frau, die du geliebt hast. Es ist unangenehm, über solche Dinge zu sprechen, besonders an deinem letzten Arbeitstag, aber Kommissar Malangi findet, dass er nicht so einfach aus Teddys Leben verschwinden kann, ohne etwas von den Erkenntnissen weiterzugeben, die er sich in sechsunddreißig Jahren Ehe und Beruf erworben hat.
„Setz dich“, sagt er, während er weiter Schubladen ausräumt. Den Kopf im Schreibtisch verborgen fährt er fort: „Weißt du, wie eine verliebte Frau sich verhält? Du hast es vielleicht einmal gewusst, aber jetzt kannst du dich nicht mehr daran erinnern. Hast du schon mal ein wild gewordenes Stutenfohlen gesehen? So ein Fohlen ist nicht mehr zu bändigen. Auch der beste Reiter kann es nicht besteigen, es wird ausschlagen und toben. Man kann es anketten, und doch wird es mitten in der Nacht fliehen. Genauso verhält sich eine verliebte Frau. Was tust du, wenn alles andere versagt? Du musst sie gefügig machen. Zu ihrem eigenen Besten. Es gibt keine andere Möglichkeit.“ Er zieht einen Samtbeutel aus der untersten Schublade und öffnet den glänzenden Silberdraht, der ihn verschließt.
Teddys Arm unter dem Gips juckt fürchterlich. Er sehnt sich verzweifelt danach, sich zu kratzen, wenigstens ein einziges Mal. Außerdem würde er Kommissar Malangi gerne fragen, woher er das mit ihm und Alice weiß, entscheidet sich aber dagegen. Man fragt das Oberhaupt des G-Korps nicht nach seinen Quellen. Und dann wird ihm klar, dass wahrscheinlich die ganze Stadt es weiß, wenn schon ein einfacher Stationsgehilfe aus dem Herz Jesu es weiß.
„Bei dir ist es nur eine häusliche Angelegenheit. In einem Haushalt fliegt immer alles Mögliche
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