Alice im Netz - das Internet vergisst nie!
betraf, erregte es dennoch ein wenig Aufsehen, wenn sich ein junges Mädchen regelmäÃig durch die Bestsellerliste las â und dabei nur selten ein Buch kaufte.
Natürlich hätte Alice in die städtische Bücherei gehen können, aber hier, wo die Bücher fast noch unberührt in den Regalen standen, bildete sie sich ein, dass sie besser rochen. Noch ein bisschen nach dem Schriftsteller, der die Protagonisten zum Leben erweckt, die Orte und die Handlung gewählt oder erfunden hatte, und nach den Träumen, die jemanden, der schrieb, mit einem neuen Werk auf immer und ewig verbanden.
AuÃerdem wollte Alice Bücher besitzen, nicht leihen. Unbedingt. Nur ihr Geldbeutel war meistens dagegen.
Das Meyersche Bücherparadies im unteren Stockwerk des Einkaufszentrums war immer gut besucht. Aber bei diesem unangenehmen Wetter hatten noch mehr Menschen als gewöhnlich Zuflucht in den behaglichen Räumen der Buchhandlung gesucht. Deckenhohe Holzregale, prall gefüllt mit unzähligen Büchern, gemütliche Sitzgruppen, die dazu einluden, sich in sie hineinzukuscheln und in einem der wunderbaren Bücher zu versinken.
Alice hatte jedes Mal das Gefühl, in eine magische Welt einzutauchen, sobald sie die Buchhandlung betrat. Schon als kleines Mädchen hatte ihre Mutter sie regelmäÃig zu den Kinderlesungen, die in einem Nebenraum stattfanden, der wie ein Zirkuszelt ausgestattet war, gebracht. Alice war jedes Mal mit vor Aufregung hochroten Wangen ungeduldig auf ihrem Bodenkissen hin und her gerutscht, bis endlich der jeweilige Autor den Raum betreten und angefangen hatte, aus seinem Buch vorzulesen.
Vor zwei Jahren hatte sie einer Veranstaltung mit der ihr damals noch unbekannten Autorin Isabel Abedi beigewohnt. Die Lesung aus dem Jugendbuch
âWhisperâ
wurde von dem bekannten brasilianischen Gitarristen Eduardo Macedo musikalisch begleitet und hatte Alice so tief berührt, dass sie die ganze Zeit über gegen aufsteigende Tränen anzukämpfen hatte.
Seitdem gehörten die Jugendbücher der Hamburger Schriftstellerin zu ihren absoluten Lieblingen â Bücher, die sie unbedingt besitzen musste. Der Kauf ihres neusten Werkes,
âLucianâ
, hatte ihre finanziellen Mittel restlos erschöpft, zumal sie sich auch noch das Hörbuch zugelegt hatte.
Und deshalb musste sie nun
âGut gegen Nordwindâ
heimlich in der Buchhandlung lesen, damit sie endlich mit dem zweiten Band beginnen konnte, der sie noch unberührt aus ihrem Bücherregal heraus anstarrte und laut zu rufen schien: Lies mich endlich!
Alice steuerte direkt auf das Regal zu, in dem sich
âGut gegen Nordwindâ
befand, schaute sich kurz links und rechts um und nahm sich eines der Exemplare aus dem Fach.
Gerade wollte sie sich mit dem Buch in der Hand einen ungestörten Platz suchen, als ihr jemand von hinten auf die Schulter tippte.
Alice fühlte sich ertappt, lief dunkelrot an und sagte schuldbewusst, noch bevor sie sich überhaupt umgedreht hatte: âIch wollte nur ein bisschen darin rumblättern.â
âVon mir ausâ, sagte eine männliche Stimme, die ihr ziemlich bekannt vorkam.
Alice fuhr herum. âEdgar. Mein Güteâ, herrschte sie ihn an. âSag mal, ist das dein neues Hobby? Warum tauchst du eigentlich immer wie aus dem Nichts genau dort auf, wo ich gerade bin?â Aliceâ Schamesröte verwandelte sich in Zornesröte.
Edgar machte unschuldige Augen. âZufall. Oder vielleicht ist es ja auch umgekehrt. Ich bin auf jeden Fall nicht in roten Wollsocken über die StraÃe gerannt.â
Alice bedachte ihn aus zusammengekniffenen Augen mit mindestens tödlichen Blicken. Typisch, dachte sie verärgert. Das werde ich jetzt jedes Mal von ihm zu hören bekommen. Von wegen, der steht auf mich. Pah, Katja, da hast du dich aber mächtig getäuscht.
âIch verfolge dich ganz bestimmt nichtâ, knurrte sie so gehässig wie nur möglich.
Edgar grinste sein strahlendweiÃes Hollywoodgrinsen. âSchade.â
Alice holte tief Luft und presste dabei mit beiden Händen das Buch fest an ihre Brust.
âWas liest du?â, wollte Edgar wissen.
âNichts, was dich interessieren dürfteâ, erwiderte Alice schnippisch.
Edgar seufzte leise. âWarum bist du eigentlich immer gleich so zickig?â Seine Stimme klang sanft und auch ein bisschen traurig. So sanft und traurig, dass Alice
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