Alicia II
konntest. Das gleiche gilt für jede andere Krankheit. Auch hier würden dir unsere fortschrittlichen Techniken einen Strich durch die Rechnung machen. Ein Herzanfall kann nicht so leicht hervorgerufen werden, zumindest nicht, ohne Hinweise auf die – wenn ich das Wort benutzen darf – Sabotage zurückzulassen. Ich muß schon sagen, ich sehe eine gehörige Portion Ironie darin, daß du die Sabotage an deinem Körper mit einer neuen Sabotage beantworten willst. Ich wünschte, es könnte funktionieren. Aber bei dem Glück, das du hast, wird man dich rechtzeitig in ein Krankenhaus schaffen und dir sofort eins dieser neumodischen künstlichen Herzen einpflanzen. Und ein künstliches Herz wird dein Leben um Jahre verlängern, was ja ganz gegen deine Absicht wäre. Zu schade, daß es keinen künstlichen …«
»Ich verstehe, aber es muß doch …«
»Du kannst das Risiko ja eingehen, aber empfehlen tue ich es dir nicht. Und wenn du damit gerechnet hast, ich würde eine solche Operation durchführen, dann schlage dir das aus dem Kopf. Ich würde es nicht tun, auch nicht bei einer so alten Freundschaft wie der unsrigen.«
Die Endgültigkeit, mit der er das sagte, überraschte mich und enttäuschte mich ein wenig.
»Tut mir leid, Ben, ich wollte dein Berufsethos nicht verletzen. Es gibt …«
Er lachte so laut und so plötzlich, daß ich ganz erschrocken zusammenfuhr.
»Berufsethos! Wenn uns nichts im Weg stände als ein Ethos, dann würde ich jetzt einfach die Hand über den Schreibtisch strecken und dich ermorden. Voss, dabei geht es um wesentlich mehr. So sehr ich dich liebe, ich kann es nicht wagen, bestimmte Dinge zu tun, und das aus dem einfachen Grund, weil du einen neuen Körper brauchst, wenn du bei deiner jungen Dame ans Ziel kommen willst. Ich würde meinen Glauben gern auf die einfache Formel bringen, daß der Wert, den ich für einen Freund habe, höher ist als der, den ich für andere Dinge habe, für Dinge, über die ich hier nicht sprechen kann. Vielleicht später, wenn ich meiner augenblicklichen Verpflichtungen ledig bin, vielleicht kann ich dann einen Weg finden, dir zu helfen. Aber jetzt nicht.«
»Noch mehr dunkle Andeutungen. Ich wünschte, du könntest mir von deinen Verpflichtungen, wie du es nennst, erzählen.«
»Später, das verspreche ich dir.«
»Es ist hoffnungslos, nicht wahr, Ben?«
»Nichts ist hoffnungslos. Ich habe nie einen wirklich guten Grund zur Verzweiflung gefunden, und dabei habe ich mich jahrhundertelang mit verzweifelnden Menschen befaßt. Das ist zwar sentenziös ausgedrückt, aber ich glaube daran. Es gehört zu den rund tausend wertlosen Ideen, nach denen ich lebe.«
Ich begann, meine Müdigkeit zu spüren, und erinnerte mich, daß ich die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Bens Worte hatten in meinen Ohren nach einer Entlassung geklungen, deshalb wollte ich mich erheben.
»Nun«, sagte ich, »ich will dich nicht länger aufhalten. Ich werde …«
»Setz dich. Ich bin noch nicht fertig.«
Ich setzte mich.
»Okay, Voss, noch eins: Vielleicht kann ich etwas tun, vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dein Problem mit meinen gegenwärtigen Verpflichtungen auf einen Nenner zu bringen. Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte …«
»Was? Sag es mir, Ben, was?«
»Das kann ich dir im Augenblick nicht sagen. Und bevor ich auch nur in Erwägung ziehen darf, mit dem Prozeß anzufangen, müssen ein paar Dinge festgestellt werden. Nummer eins: Ich kenne dich lange Zeit, mein Freund, und ein Aspekt deines Charakters scheint mir dauerhaft zu sein. Du bist ein intelligenter, gebildeter, angenehmer Mensch, dessen Freundschaft mir immer teuer sein wird, aber du bist auch so unglaublich naiv, wie ich keinen anderen kenne.«
Das war natürlich nicht das, was ich zu hören wünschte.
»Naiv?
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