Alien Earth - Phase 2
Bremse in unseren Köpfen gelöst. Neue Ideen, neue Konzepte fließen uns zu, dass es beinahe unheimlich ist. Und jeder neue Durchbruch öffnet die Tür zu einem Dutzend weiteren. Vieles spricht dafür, dass mit Reaktor IX die kontrollierte, fortgesetzte Kernfusion in unmittelbare Reichweite gelangt. Unsere Simulationen sind eindeutig: Konfiguration und Steuerung sind abgestimmt. Was fehlt, ist ein letzter Feinschliff der Hardware. Dazu brauchen wir Leute wie dich, Materialforscher. Wer weiß, womöglich liegt das Gelingen des Projekts nun in deinen Händen!«
Renoir ahnte nicht, wie recht er hatte.
Das Schicksal des Projekts lag in Rainers Händen, ganz und gar.
Ekin, die allgegenwärtige, niemals müde werdende Stimme in seinem Kopf, sorgte dafür, dass er es nicht vergaß.
Bleib auf Distanz, sagte Ekin, als eine Kollegin ihn auf ein Glas Wein in ihr Apartment einlud. Sie ist ein Spitzel.
Wechsle nicht, als man ihm anbot, in ein anderes Team zu gehen. Es ist eine Sackgasse. Die Projektleitung wird es bald auflösen. Du weißt nicht, was danach kommt. Bleib für dich.
Verzichte auf deinen freien Tag, sagte sie. Du gibst alles für das Projekt.
Rainer lebte sich ein, fand Tritt. Los Alamos hatte die Grö ße einer Stadt, aber es blieb ein Labor. Rainer hatte Jahre seines Lebens in Labors verbracht. Labors waren der Ort, an den er gehörte. Renoir wurde zu einem regelmäßigen Besucher. Er suchte Rainer auf, erst täglich, dann bald zwei- oder dreimal täglich. Manchmal brachte er eine Flasche Rotwein mit, trank sie mit Rainer und fragte ihn über Europa aus. Früher, vor Sunfire, war Renoir viel herumgekommen. Er wollte wissen, was aus seiner alten Heimat geworden war. Rainer gab ihm Auskunft, so gut er konnte, aber irgendwie schienen seine Erinnerungen und die Renoirs nicht zusammenpassen zu wollen. Was Renoir erzählte, klang unweigerlich wohlhabender, grandioser, friedlicher, schöner. Nach einiger Zeit versandeten ihre Gespräche. Dann saßen die beiden Männer still zusammen, sahen in ihre Gläser und hingen ihren Gedanken nach. Schließlich schüttelte Renoir sich, leerte das Glas und erkundigte sich nach Rainers Fortschritten.
Es verging kaum ein Tag, an dem Rainer nichts vorzuweisen gehabt hätte. Ihm standen nahezu unerschöpfliche Rechenkapazitäten für seine Simulationen zur Verfügung. Hatte er eine Idee, war es nur eine Frage von Stunden, sie zu erproben. Und an Ideen hatte er keinen Mangel, dafür sorgte Ekin.
Sie flüsterte sie ihm ein. Präzise und mit einer Leichtigkeit, als greife sie auf einen Schatz selbstverständlichen Wissens zurück, als schildere sie ihm nichts weiter, als dass zwei und zwei vier ergäben. Rainer musste ihre Angaben lediglich in eine Simulation umsetzen, ein simpler, mechanisch ablaufender Vorgang. Einmal schloss er währenddessen die Augen und stellte fest, dass er die Daten fehlerfrei eingegeben hatte, als gehörten seine Finger nicht länger ihm selbst.
19 von 20 seiner Ideen waren nutzlos, Sackgassen. Sie stellten Störgeräusche dar, dazu gedacht, Renoir und jeden anderen, der seine Arbeiten verfolgen mochte, in die Irre zu führen. Ekin hätte ihm die nötigen Daten jederzeit diktieren können, aber ein zu schneller Erfolg hätte Misstrauen auf den
Plan gerufen. Rainer musste mit seinen Simulationen simulieren, dass er forschte, aus den Fehlschlägen lernte, sich hartnäckig Schritt für Schritt vortastete - um schließlich eines Tages mit dem großen Durchbruch aufzuwarten.
Bis dahin hatte er Zeit. Zu viel Zeit. Er vertrieb sie sich damit, dass er auf dem Gelände umherspazierte. Los Alamos war riesig, er konnte stundenlang die schattigen Alleen zwischen den verstreuten Gebäuden entlanggehen, ohne denselben Punkt zweimal zu passieren. Niemand hielt ihn auf, keine Wache, keiner seiner Kollegen stellte ihn zur Rede. Rainer zählte zum exklusiven Kreis der Topwissenschaftler, die das Sonnenfeuer auf die Erde holten. Eine gewisse Exzentrik gehörte zum guten Ton, und jeder, der Rainer begegnete, hätte sich dafür verbürgt, dass er auf seinen langen Spaziergängen tief in Gedanken versunken war.
Rainer horchte in sich hinein. Er war nicht mehr allein. Ekin steckte in seinem Kopf. Ekin, die mit Blitz’ Stimme sprach, aber nichts von Blitz an sich hatte. Blitz bettelte und bockte und setzte damit oft ihren Willen durch. Ekin war kalt und sachlich und setzte ihren Willen ausnahmslos durch.
Und sie war stets orientiert. Ekin sah, was er sah. Hörte, was er
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