Alissa 1 - Die erste Wahrheit
flüsterte er mit kalten Lippen, und dann hörte er ein leises Popp aus ihrem Zimmer.
Strell wurde wie von einer Riesenfaust gepackt und an die gegenüberliegende Wand geschleudert, als eine Kraftwelle sich durch die verbundenen Kamine von Alissas Zimmer in seines ausbreitete. Seine Ohren waren taub von einem gewaltigen Druck, und statt ihn zu hören, spürte er eher den ungeheuren Knall, der die uralte Festung erschütterte, um bis zu den Wurzeln des Berges selbst fortzuhallen.
Mit einem dumpfen Stöhnen sank er zu Boden, als das Feuer erlosch, erstickt von der Explosion. Kaum noch bei Bewusstsein, lag er zwischen verkohltem Holz und rieselnder Asche auf dem Boden. Ein tödlich kalter, bitterer Wind fuhr durch das Fenster herein. Er sammelte sich auf dem Fußboden, beinahe sichtbar, und vertrieb eilig die wärmere Luft, die in die Nacht hinausfloh. Wie Nebel strömte sie nach draußen und nahm die Leben spendende Wärme des Zimmers mit sich. Die schützenden Banne waren zerstört, völlig überwältigt von einer Kraft, die auszuhalten sie nicht geschaffen waren.
Strells Gedanken wirbelten durcheinander, so wirr, als sei die plötzliche Dunkelheit des Zimmers auf seinen Verstand übergegangen. Langsam durchströmte eine tröstliche Wärme seine Glieder, und dann spürte er nichts mehr.
– 31 –
B ailic erreichte den obersten Stock und trat wütend nach dem kleinen Tisch vor seiner Tür. Der war schwer und gut gearbeitet. Er erreichte damit nur, dass ihm der Fuß wehtat. Erzürnt packte er den Tisch, um ihn die Treppe hinunterzustoßen. Doch dann überlegte er es sich anders und gab sich stattdessen damit zufrieden, seine Tür hinter sich zuzuschlagen. Mit einem befriedigenden Knall krachte das dicke Holz gegen den gemauerten Türrahmen.
»Talo-Toecan«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen, »ich hätte Euch töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte!« Das war reine Prahlerei, doch er fühlte sich besser, als er das gesagt hatte. In der Tiefe seiner Seele wusste er, dass er den Meister niemals würde töten können. Er hatte es nur Glück und guter Planung zu verdanken, dass es ihm gelungen war, die Bestie in seiner eigenen Höhle gefangen zu setzen, in die Falle gelockt von der Vorstellung, Keribdis sei zurückgekehrt und liege schwer verletzt dort unten. Bailic hatte sich vor Talo-Toecans Einmischungen sicher geglaubt, doch offensichtlich war dem nicht so. Der heimtückische Gelehrte hatte wieder einmal einen Weg gefunden, die Regeln zu umgehen.
»Ihr werdet dort unten verrotten«, schwor Bailic hitzig. Er fegte mit einem Arm über seinen Schreibtisch. Papier flatterte in einem Wirbelsturm auf, um dann still wie Blätter zu Boden zu sinken. Die Tintenfässchen kamen als Nächstes dran, sie zerbarsten an der Wand und bildeten große Flecken und hässlich aussehende Pfützen auf dem gleichgültigen Fußboden.
»All meine Pläne umsonst!«, tobte er und trat auf seinem Weg zum Balkon Papier und Federn aus dem Weg. Die gefährliche Tiefe dicht vor ihm wirkte oft beruhigend, doch heute Abend bot sie keinen Trost. Er starrte finster in die Dunkelheit, hielt seinen Zorn ganz still und ließ ihn wachsen. Nur seine Finger bewegten sich und trommelten lautlos auf seinen Arm.
Es war eine ausgezeichnete Idee gewesen, schäumte er. Eine tiefe Trance lieferte immer reichlich Informationen, weil sein Opfer bereitwillig jeder seiner Einflüsterungen folgte. Doch er hatte nichts erfahren. Nichts! Er hatte nicht einmal in Erwägung gezogen, dass sein Plan fehlschlagen könnte. Die größte Schwierigkeit hatte er darin gesehen, diese Dämonenbrut von einem Vogel loszuwerden. Da er wusste, dass der Falke seine sorgsam orchestrierte Stimmung wohliger Zufriedenheit stören würde, hatte Bailic ihn hinaus in den Schnee geworfen und die Tür hinter ihm geschlossen.
»Ich könnte jetzt bereits wissen, wer der Bewahrer ist«, krächzte Bailic. Er wirbelte herum und stürmte zu seinem Sessel. Er warf sich hinein, und seine Finger klopften in hektischem Rhythmus auf den modrigen Stoff. In seinem Eifer hatte Bailic schlicht vergessen, dass eine bewusstlose Person einem Meister als Sprachrohr offenstand. Und das Mädchen war zwar nicht wirklich bewusstlos gewesen, aber offensichtlich dicht genug davor. Er hatte gar nicht sie befragt. Er hatte seine Fragen an seinen Gefangenen gerichtet, der noch immer tief unten in seinem Verlies festsaß! »Kind der Sonne und der Erde«, schnaubte er höhnisch und zwang seine
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