Alissa 1 - Die erste Wahrheit
verderben zu lassen, an dem sie richtig verwöhnt werden sollte. Asche. Was hatte sie nun wieder angerichtet? Vor zwei Monaten war sie noch ein Halbblut gewesen, dessen Anblick man der Gesellschaft ersparen sollte. Aber schließlich war er fast zwei Jahrzehnte lang allein gewesen. Vielleicht war die Gesellschaft eines Halbbluts, das kochen konnte, besser als gar keine. Sie steckte den Zettel in ihre Tasche, begierig darauf, ihn Strell zu zeigen und seine Meinung zu hören. Bailics Vorschlag würde sie für sich behalten.
Zu ihrer großen Überraschung fand sie den Speisesaal leer vor, nicht einmal ein Feuer brannte. Auch in der Küche war nirgends ein Gedeck zu sehen. Ja, auch Strell war verschwunden. Achselzuckend trat Alissa ans Feuer, um den zugedeckten Topf zu inspizieren, der gerade außer Reichweite der Flammen hing.
»Oh nein, das wirst du nicht tun!« Die Gartentür schloss sich mit lautem Knall hinter Strell.
Sie fuhr herum, und der Deckel klapperte verräterisch, als sie ihn fallen ließ. »Wo warst du denn?«, fragte sie vorwurfsvoll und spürte, dass sie rot wurde.
»Nirgends.« Ohne seinen Mantel abzulegen, setzte er sich, um seinem Knöchel eine Pause zu gönnen, und seufzte, als sein Rücken die Stuhllehne fand. Ein Fuß steckte in einem Stiefel, der andere war dick mit mehreren Schichten Leder umwickelt.
»Und«, sagte Alissa mit erwartungsvoll aufgerissenen Augen, »wo ist das Abendessen?«
»Abendessen? Welches Abendessen?«
»Und was ist dann das?«, fragte sie spitz und deutete auf den Topf.
»Das? Ach, das sind nur meine Strümpfe.« Strell blickte in gespieltem Gleichmut zur Decke auf.
»Hm«, brummte sie und war nun sicher, dass er wegen seines verletzten Knöchels kein so üppiges Mahl hatte zubereiten können, wie er es sonst gern tat. Das machte ihr nichts aus. Alles wäre ihr jetzt willkommen, und wenn es nur eine Suppe war. »Ich verstehe«, sagte Alissa keck. »Dann hast du sicher nichts dagegen, wenn ich einen Blick darauf werfe?« Damit griff sie erneut nach dem Deckel.
»Nur zu.« Strell hielt sich gähnend die Hand vor den Mund und wischte etwas von seinem Mantel.
Sie war des Spielchens überdrüssig und hob den Deckel an. Der Inhalt sah nicht aus wie Suppe und roch auch nicht so, doch erst als sie mit einem Kochlöffel hineinfuhr, erkannte sie, was es war. »Igitt!«, rief sie und ließ die tropfende Wolle wieder in das Waschwasser fallen.
»Ich habe dich gewarnt.« Grinsend stemmte er sich hoch. »Hier, zieh das an und schließ die Augen.« Er reichte ihr ihren Mantel und die Stiefel, und Alissa zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Draußen?«, fragte sie.
»Sofort«, befahl er spielerisch, »sonst musst du hungrig zu Bett gehen.«
Mit einem leisen Seufzen schlüpfte Alissa in Mantel und Stiefel, warf einen letzten finsteren Blick auf sein lächelndes Gesicht und schloss die Augen, wie er es verlangt hatte. Strell nahm sie bei den Händen und führte sie langsam zur Hintertür. »Lass die Augen zu«, warnte er und ließ kurz ihre Hände los. Alissa hörte, wie sich die Tür öffnete, und spürte die kalte Nachtluft im Gesicht. »Vorsichtig, da ist eine Stufe.« Alissa folgte Strell mühsam den Gartenpfad entlang. Sie gingen langsam, da es ihm schwerfiel rückwärtszuhumpeln, vor allem, weil er obendrein ihre Hände hielt. Verwirrt von den zahlreichen Abzweigungen und Wendungen wusste Alissa bald nicht mehr, wo sie waren.
»Also gut«, flüsterte er schließlich. »Jetzt darfst du sie aufmachen.« Er ließ ihre Hände los, und sie öffnete begierig die Augen.
»Oh, Strell!«, hauchte Alissa wie verzaubert. Ein kleines Feuer knackte mitten in einer großen, abgesenkten Feuerstelle. Darum herum zog sich eine kreisförmige, steinerne Bank, die in die umgebenden Wände aus Erde eingelassen war. Strell hatte gleich mehrere Plätze mit dicken Decken gepolstert, um die Kälte erträglicher zu machen. Über dem Feuer hing ein aus Metallstangen geflochtener Tisch, auf dem bedeckte Schüsseln standen. Sie dufteten ganz wunderbar. Suppe?, dachte Alissa erfreut. Das war ein Festbankett!
»Meine Dame?« Strell neigte den Kopf mit einer höflich einladenden Geste.
Alissa spielte mit, reichte ihm die Hand und ließ sich von Strell an ihren Platz »geleiten«.
Und so nahmen sie ihr Abendessen unter dem Mond und dem freien Himmel ein. Strell war über alle Maßen aufmerksam ihr gegenüber, so dass sie schüchtern und bescheiden wurde. Ihre sanften Stimmen hoben und senkten sich in
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