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Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Titel: Alissa 1 - Die erste Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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Strell den äußersten Lederstreifen zurecht, der um seinen Knöchel gewickelt war. Er hatte ihr noch nichts von seinem Handel mit Bailic gesagt, und der Gedanke daran ließ ihn nachts nicht schlafen. Mit jedem Tag, den er es hinauszögerte, wurde es nur schwerer. Er war zu seiner alten Gewohnheit, unangenehme Dinge einfach zu meiden, zurückgekehrt, fast ohne es zu merken. Es ihr am ersten Abend zu sagen wäre grausam gewesen. Am zweiten Tag war sie so müde. Am dritten Tag ließ Kralle eine tote Maus mitten in Alissas Frühstück fallen. Am Tag darauf verbrachte Alissa den ganzen Nachmittag damit, ein neues Kleid zuzuschneiden, nur um dann festzustellen, dass es zu klein sein würde. Irgendetwas, dachte Strell, kam immer dazwischen. Und es war immer einfacher, es noch ein wenig aufzuschieben.
    Er hatte sich einen ganzen Monat lang eingeredet, dass es ihm schon gelingen würde, Nutzlos zu befreien. Dann würde er Alissa gar nicht erst sagen müssen, dass er fünf Wochen ihres Lebens gegen das Versprechen auf ein Buch eingetauscht hatte, das er gar nicht besaß. Erst jetzt, da er Alissas Zeit nur noch in Stunden maß, nicht mehr in Tagen, musste er sich eingestehen, dass er nicht durch die Tür unter der Treppe kam. Bailic würde ihm helfen müssen. Unwissentlich, versteht sich.
    Die Geheimtür unter der Treppe öffnete sich auch nicht für Alissa – der Navigator wusste, wie oft er sie dazu überredet hatte, es zu versuchen. Doch Bailics plötzliches Erscheinen an dem Abend, als Alissa sich verbrannt hatte, sagte Strell, dass Bailic sie zu öffnen vermochte. Deshalb saß Strell auf diesem Fensterbrett, wann immer er konnte: Er beobachtete die Tür und hoffte, Bailic dabei zu beobachten, wie er sie benutzte. Er setzte all seine Hoffnung in die Launen eines Wahnsinnigen.
    Er hatte Alissa nichts von seinem Plan erzählt, weil er nicht wusste, was sie tun würde, falls er scheiterte. Ihre geistige Gesundheit schien in jüngster Zeit an einem seidenen Faden zu hängen, und er wollte es nicht riskieren, ihr Hoffnung zu machen, um sie dann wieder zu zerstören. Er hätte darauf gewettet, dass Bailic seinen Gefangenen heute besuchen würde, und sei es nur, um sich mit dem bevorstehenden Triumph zu brüsten, weil er nun Alissas Buch bekommen würde. Er musste ihn einfach besuchen, dachte Strell, und die Angst drehte ihm den Magen um.
    »Ich kann es ihr nicht sagen«, flüsterte er. Morgen würden sie das neue Jahr feiern, und ihr Fest würde damit enden, dass Bailic erschien und seine Forderung stellte. Alissas verletzter, betrogener Blick würde sich in einen herzzerreißenden Ausdruck von Vergebung verwandeln. Das würde der letzte Blick sein, den sie ihm je schenken sollte, der Blick, der ihm für alle Zeit in Erinnerung bleiben würde.
    »Ich muss es ihr sagen«, flüsterte er und glitt vorsichtig vom Fensterbrett, um seinen Knöchel nicht zu erschüttern. Gestützt auf Alissas Wanderstab hüpfte er geübt die Treppe hinunter und in den Speisesaal. Im Durchgang blieb er stehen und nahm all seinen Mut zusammen. Er hörte Alissa in der Küche klappern, Wasser spritzte, und – da war noch etwas. Aus der großen Halle kam ganz deutlich das Geräusch von Stein, der über Stein schrammte.
    »Bei den Hunden!«, keuchte Strell erleichtert und rannte zurück in die riesige Halle. Er ignorierte den Schmerz und kam rutschend hinter dem Fuß der Treppe zum Stehen, von wo aus er gerade noch Bailics Gewand durch einen Spalt in der eben noch soliden Mauer unter der Treppe verschwinden sah. Es war beinahe so, als hätte der abscheuliche Mann gewartet, bis Strell seine Wache aufgegeben hatte.
    In Panik stürzte Strell die letzten paar Schritte vor und klemmte sein Messer in den schwindenden Spalt. Diesen Trick hatte er sich durch zahllose Versteckspiele mit seinen Brüdern angewöhnt, die ihn oft genug bis zum Abendessen in einem Brennofen eingeschlossen hatten, wenn er nicht aufpasste. Mit hämmerndem Herzen erstarrte er und wartete. Ein Augenblick verging, dann noch einer. Er hörte keinen Aufschrei, kein »Guten Tag, Pfeifer«. Als er endlich glauben konnte, dass er es geschafft hatte, erlaubte Strell sich ein leises Seufzen. Kein Laut drang aus der Ritze, und als er langsam die Tür aufstemmte, empfing ihn nur der Geruch von nassem Stein und halb verbranntem Öl. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, entdeckte er ein Loch im Boden, einen Stapel Fackeln und etwas, das Alissas Bündel verdächtig ähnlich sah.

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