Alissa 1 - Die erste Wahrheit
Eifer. Er holte zwei Becher aus dem Wagen und reichte Strell einen davon.
Strell musterte ihn mit kritischem Blick, während Petard sich umständlich auf der anderen Seite des Feuers niederließ. Er rückte das dünne Gewand zurecht, das er über der Hose trug, um Strell Zeit zu lassen, seine Kunstfertigkeit zu bewundern. Hier in Strells Hand lag ein Beispiel für Petards wahre Fähigkeiten, und Strell war beeindruckt. Der gerissene Tiefländer hatte seinem Vater schon immer bei den wohlhabenderen Kunden Konkurrenz gemacht. Auch daran hatte sich offensichtlich nichts geändert.
Strell hörte ein leises Geräusch neben seinem Ellbogen, fuhr herum und sah zu seiner Überraschung Matalina direkt hinter ihm stehen. Sie hielt einen Wasserschlauch in den schmalen Händen. Ihre ebenmäßigen weißen Zähne bildeten einen auffälligen Kontrast zu ihrer dunklen Haut, und Strell wurde auf einmal verlegen. »Danke«, sagte er leise, als sie ihm einschenkte. Sie war dunkel, sittsam und exotisch im Vergleich zu den Frauen der Küste.
»Geh. Na los«, brummte Petard und scheuchte sie fort. Strell sah ihr nach, als sie um die Ecke des Wagens verschwand.
»Na?«, flüsterte Petard verschwörerisch, und Strell wandte sich wieder dem Feuer zu. »Sie gefällt Euch wohl? Mir auch. Keine drei Söhne hätten so hart arbeiten können wie sie.« Er rückte ein wenig näher und wärmte sich die Hände am Feuer. »Ihr wisst doch, dass ich keine Söhne bekommen habe, Strell?«
Strell erstarrte erschrocken. »Äh, ja. Das tut mir leid.«
»Das braucht Euch nicht leidzutun!«, rief Petard. »Ich habe meine Töchter.« Stolz leuchtete aus seinen Augen, als er über den Wagen hinweg zusah, wie Matalina die nächsten Kunden bediente. Diese hatten einen Korb voll Äpfel, und Petards Gesicht nahm einen beinahe gerissenen Ausdruck an. Strell beobachtete, wie Petard sich zwang, den Blick von den Anfängen dieses Handels loszureißen und sich wieder seinem Besucher zu widmen.
»Achtet nur nicht auf die Fetzen, die sie trägt«, sagte Petard leise. »Ich befehle ihr, hier so etwas anzuziehen, sonst würden die Dreckscharrer noch mehr für ihr Getreide verlangen.«
»Petard«, begann Strell ungeschickt. »Wie geht es meiner Familie?«
Der große Mann stand abrupt auf. »Wasser? Warum trinken wir denn Wasser? Wein sollten wir trinken. Ein Hirdun kehrt zu uns zurück. Darauf sollten wir Wein trinken!«
Strell bedeckte seinen Becher mit der flachen Hand. »Petard. Meine Familie? Sind sie hier im Hochland?«
Petard sank auf seinen Platz hinab, der Weinschlauch baumelte zwischen seinen Knien. Er fuhr sich mit einer Hand unter der Nase entlang.
»Petard?«, wiederholte Strell, der plötzlich Angst bekam. Was, wenn diese verrückte Bauersfrau doch recht hatte?
»Es tut mir leid, mein Junge«, sagte Petard mit so sanfter Stimme, wie Strell sie noch nie bei ihm gehört hatte. »Ich weiß nicht, wie ich es Euch sagen soll.«
Strell sog zischend die Luft ein. Ein Hund bellte im übernächsten Wagen, und ein Kind lachte. Sein Verstand war auf einmal leer, und er hörte sich sagen: »Sie hat erzählt, es hätte eine Flut gegeben.«
»Sie?« Petard musterte ihn scharf. »Ihr wisst es bereits?«
»Eine Frau auf einem Bauernhof hat es mir gesagt. Ich habe ihr nicht geglaubt.«
Petard nickte eifrig. »Das hätte ich auch nicht getan. Aber sie hat Euch die Wahrheit gesagt. Das war eine Flut wie die Tränen des Navigators selbst. Hat an manchen Stellen den Sand bis aufs nackte Gestein hinweggespült. Die erste Oase wurde zerstört. Deshalb haben sich die Handelsrouten verschoben.«
Strell schluckte schwer. Ihm war kalt, und er stellte den Becher ab, damit Petard nicht merkte, wie sehr seine Finger zitterten. Sein Atem ging stoßweise. »Sie hat gesagt, sie wären von der Flut überrascht worden.« Er blickte auf und wünschte sich verzweifelt, ein Fünkchen Hoffnung in Petards Blick zu erkennen, doch da war nur Mitgefühl. Der große Mann schob einen Fuß am Feuer vorbei und kippte Strells Becher um. Wasser versickerte im Boden. Stumm füllte Petard den Becher mit Wein.
Verzweifelt flüsterte Strell: »Meine Familie?«
Petards Augen schlossen sich. »Gesegnet sind jene, die unerwartet an die Seite des Navigators treten, denn sie bringen ihm die reinsten Gedanken.«
Keuchend krümmte Strell sich zusammen, schloss die Augen und griff sich mit einer Hand an den Kopf. Nein, dachte er. Ihm war schwindlig und übel. Sie können nicht fort sein. Das musste ein
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