Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Alissa 1 - Die erste Wahrheit

Titel: Alissa 1 - Die erste Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
Vom Netzwerk:
hätte es auch mir gutgetan, meine Pflichten in den Wind zu schlagen.«
    Meson trat näher und starrte auf die lange, verwachsene Narbe, die sich von Bailics linkem Auge bis zum Hals hinabzog. »Ich habe dich gefragt, wo die anderen sind«, wiederholte er.
    Bailic lachte auf, erstickte sein Gelächter aber rasch mit einem heiseren Husten. Langsam setzte er sich auf einen einst dick gepolsterten Stuhl mit hoher Lehne. Dabei ließ er Meson nicht aus den Augen. »Irgendwie«, sagte Bailic betrübt, »haben die Meister es sich in den Kopf gesetzt, auf Reisen zu gehen, um die verlorene Kolonie zu finden.«
    »Die verlorene Kolonie?«, fragte Meson und dachte an die Geschichte, die sie sich als Schüler gemeinsam ausgedacht hatten. »Das war eine Geschichte. Jeder wusste doch, dass das nur Unsinn war, mit dem wir uns die Zeit im langen Winter vertrieben haben.«
    »Wie wahr.« Ein Grinsen tanzte um Bailics schmale Lippen. »Doch als ich deine Karte der Insel ›fand‹, akzeptierten sie die Geschichte als Wahrheit, die sich durch dich enthüllt hatte – den schnellen, klugen Meson.«
    Meson erstarrte und überspielte seinen Schrecken, indem er einen Schritt nach vorn trat. Jetzt erinnerte er sich. Bailic hatte ihn ermuntert, die Geschichte mit einer Karte zu illustrieren, und er hatte die Idee begeistert aufgegriffen. Die Karte war mitten im Winter plötzlich verschwunden. Damals waren sie noch Freunde gewesen.
    Bailic bemerkte seine Verwirrung und rümpfte die Nase. »Mein lieber, unschuldiger Bauer, eine Kleinigkeit genügt, um unter den gelangweilten Hundertjährigen ein fatales Interesse aufflammen zu lassen. Auf meine subtilen Andeutungen hin gingen sie auf und davon und ertranken beim Versuch, deine Insel zu finden. Wie bedauerlich«, spottete er. »Deine Geschichte hat fast alle in den Tod geführt. Deinetwegen«, fügte er vorwurfsvoll hinzu, »ist die Feste verlassen.«
    »Nein«, flüsterte Meson, der wusste, dass das vermutlich stimmte.
    Doch das Verschwinden der Bewahrer war damit nicht erklärt. »Warum?«, murmelte er. »Warum hast du das getan?«
    »Weil sie es mir nicht geben wollten!«, schrie Bailic. Eine Spur Wahnsinn wirbelte in Bailics Augen auf und verschwand, als er erschauerte. Übertrieben achtsam erhob er sich und trat hinter seinen Sessel, um das kaum wahrnehmbare Zittern seiner Hände zu verbergen. »Das muss wohl ein Versehen gewesen sein«, murmelte er. »Jedenfalls ist das anzunehmen, oder?« Bailic lächelte gebrochen. »Mein lieber Meson«, sagte er mit sanfter Singsang-Stimme. »Bist du den weiten Weg hierher mit leeren Händen gekommen, oder war es dir ein Bedürfnis, etwas zurückzubringen?«
    Meson ließ sein Gesicht zu einer Maske erstarren. Bailic konnte damit nur eines meinen. Den Hunden sei Dank, dass er es schon versteckt hatte. »Was sollte ich zurückbringen?«, fragte er leise.
    »Komm, nur heraus damit«, lockte Bailic. »Du bist der letzte Bewahrer. Du musst es haben.«
    Meson wurde bleich. Die Bewahrer waren tot? Nicht nur verschwunden? Bailic konnte doch nicht alle ermordet haben! »W-was haben?«, stammelte er und spürte, wie die ersten geflüsterten Fäden des Wahrheitsbannes der Feste sich um ihn erhoben wie harter Schnee, der auf einem winterlichen Feld verweht wird, kalt und gnadenlos.
    »Sei nicht albern«, wies Bailic ihn scharf zurecht. »Talo-Toecan hat das verfluchte Ding irgendjemandem anvertraut. Ich brauche es.« Er kroch hinter seinem Sessel hervor, wie vom Gedanken an das Buch angezogen. »Hast du in letzter Zeit das Chaos im Vorgebirge und in der Ebene gesehen? Es ist erbärmlich. Diese Leute haben viel zu viele Freiheiten. Sie könnten viel mehr hervorbringen, wenn sie einfach ihren Stolz hinunterschlucken und sich dazu durchringen würden, zusammenzuarbeiten. Hast du noch nicht bemerkt, dass ihre unterschiedlichen Talente einander perfekt ergänzen? Nein?«, höhnte er. »Talo-Toecan ist das auch nicht aufgefallen, und als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er mir verboten, einen solchen Plan ins Auge zufassen. Verboten hat er es mir! « Bailic fing sich und stützte sich mit einer Hand am Sessel ab. Langsam atmete er ein. »Da wusste ich, dass ich es allein tun muss. Sie brauchen nur jemanden, der sie unter seiner Herrschaft vereint – der sie richtig führt, verstehst du? Ich werde sie in die Zukunft führen, die ich vor Augen habe, selbst wenn dazu ein Krieg nötig sein sollte.« Bailic schüttelte in gespieltem Bedauern den Kopf und kicherte.

Weitere Kostenlose Bücher