Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
trank er einen hastigen Schluck aus dem großen Becher. »Ich wünschte, ich hätte ihn kennen gelernt«, sagte er, und sein Tonfall verriet nichts über seine Stimmung.
Alissa kniete sich hin, um das Feuer zu schüren, und war unendlich erleichtert, dass »Lodesh der Kühne« sich von »Strell, dem allzu leicht Beeinflussbaren« fernhielt. Dass Strell sich Lodeshs entwaffnenden Charme abschaute, war das Letzte, was sie brauchen konnte. Strell war auch so schon gewinnend genug. Er brauchte keinerlei zusätzliche Unterstützung. Alissa ließ sich auf die Fersen zurücksinken, hängte den Schürhaken wieder auf und blickte düster in die hellen Flammen. Ein Seufzen kam über ihre Lippen, als sie sich wieder in ihrem Sessel niederließ.
»Was ist denn?«, fragte Strell sanft.
»Nichts«, nuschelte sie und versteckte sich hinter ihrem Becher. Sie konnte es ihm nicht sagen. Sie könnte es nicht ertragen, wenn er sie tatsächlich lieben sollte und dennoch fortgehen müsste.
»Heraus damit«, redete er ihr zu. »Du weißt doch, dass du es mir früher oder später sowieso sagen wirst.«
»Es ist – mein Stab«, platzte sie heraus. »Er ist viel zu lang.« Alissa riss das fragliche Stück Holz vom Boden hoch, als könnte sie ihre Lüge dadurch wahrer machen. Mit einem frechen Wippen ihres Schwanzes verließ Kralle Alissas Sessel und flatterte ins Gebälk.
Strell beugte sich vor, und der Duft der Wüste erfüllte ihre Sinne. »Dann säg ihn doch ab.«
»Du hast recht.« Sie sprang auf und versuchte, möglichst viel Abstand zu ihm zu gewinnen.
»Was? Du willst es jetzt machen?«, rief Strell.
Sie wich seinem Blick aus und nickte. »Wenn ich abwarte, traue ich mich vielleicht doch nicht. Hast du etwas dagegen, wenn ich deine Sägen benutze?«
»Nur zu«, sagte er und stieß mit aufgeblasenen Backen die Luft aus.
Langsam trat Alissa an das Ende des langen Arbeitstisches, das als Strells Bereich gelten konnte. Sie wickelte ihren Stab in ein Stück Stoff, klemmte ihn in einen Schraubstock und drehte diesen fest zu. Sobald der Stab derart gesichert war, rechnete sie jeden Augenblick damit, dass Lodesh erscheinen würde, um empört zu fragen, was sie da tat. Kralle vergab ihr ihre Unaufrichtigkeit und flatterte wieder herunter. Der kleine Vogel hüpfte auf den Schraubstock und zupfte an dem Stoff.
»Er gehört mir«, sagte Alissa und hatte dennoch das Gefühl, es sei nicht richtig, das wertvolle Holz zu zersägen.
Mit dem Rücken zu ihr schnaubte Strell und schlürfte dann laut seinen Tee.
»Welche nehme ich?«, überlegte sie laut und ließ den Blick über die unzähligen Werkzeuge schweifen, die säuberlich aufgereiht waren. Darunter befanden sich auch einige Sägen. Strell mochte Werkzeuge und benutzte möglichst alle, auch wenn ein anderes seinen Zweck ebenfalls erfüllt hätte. Er hielt seine Schätze gut geölt und scharf – sie sahen jetzt besser aus als an dem Tag, da er sie gefunden hatte. Alissas Hand kroch zu einer feinzahnigen Säge mit einem hellroten Griff.
»Versuch es mit der roten«, riet Strell, der sich nicht die Mühe machte, aufzustehen.
Alissa warf ihm einen finsteren Blick zu, obwohl er es nicht sehen konnte, nahm die Säge und brachte sich in Position. Sacht zog sie das Blatt rückwärts, um den Schnitt anzudeuten, und verzog dabei das Gesicht. Es kam ihr abscheulich vor, die glatt geschliffene und polierte Oberfläche zu beschädigen. Die Säge glitt leicht über das Holz und hinterließ kaum eine Spur. Hartes Holz, fürwahr. Stirnrunzelnd versuchte sie es noch einmal mit mehr Kraft, doch das Ergebnis war nicht besser. Sie starrte auf das Holz, dann auf die Säge. Vielleicht sollte sie eine andere nehmen.
»Bist du sicher, dass du die Säge richtig herum hältst?«, rief Strell von seinem Sessel aus.
»Ich weiß durchaus, wie man eine Säge benutzt, Strell.« Ein wenig genervt blickte sie auf, um nachzusehen, ob er sie beobachtete, und überprüfte dann hastig, ob die Zähne des Sägeblatts auch wirklich nach unten zeigten. Erneut zog sie die Säge über den Stab. Absolut nichts. Zu Asche soll er verbrannt sein, dachte sie. L o desh muss ihn mit einem Bann belegt haben.
Strell kicherte, und Alissas Augen wurden schmal. Sie blickte zu Kralle auf, die prompt die Augen schloss und sich schlafend stellte. »Möchtest du es vielleicht einmal versuchen?«, fragte sie ihn mit lieblicher Stimme.
»Nein. Das ist dein Stock.« Dennoch stand er auf und schlenderte herüber, um ihr zuzusehen.
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