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Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Alissa 2 - Die geheime Wahrheit

Titel: Alissa 2 - Die geheime Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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fallen.
    Langsam und mit methodischem Fingersatz spielte Strell sein Aufwärmstück, »Taykells Abenteuer«. Alissa konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie daran dachte, wie sie ihn dieses Lied zum ersten Mal hatte spielen hören – sie hatte in einer kleinen Schlucht festgesessen. Sie sang den Text eines ihrer Lieblingsverse mit:
     
    »Heim ging’s mit der schönen Jungfrau,
    z ur Mutter und der Brüder vier.
    Die ihn mit finsteren Mienen
    e rwarteten, gleich an der Tür.
    Die Mutter mochte ihn zwar sehr,
    d och konnte er nicht bleiben.
    Er musst’ sie betören, ihn zu erhören,
    s onst würd’ man ihn bald vertreiben.«
     
    Strell grinste ihr zu und begann ein flottes Tanzlied in scharfen Tönen. Doch die Fingersätze waren zu kompliziert, und sie verzog das Gesicht, als er beim ersten Missgriff sofort zu spielen aufhörte. Mit roten Wangen stimmte er ein Klagelied an und erfüllte den Raum mit der ätherisch schönen Melodie. Bei diesem Lied brauchte er das letzte Loch überhaupt nicht. Es war traurig und erzählte von Verlust und Reue. Alissa hatte es noch nie zuvor gehört, und es ließ eine Woge von Gefühlen in ihr aufbranden.
    »Das hört sich an wie mein Meer«, sagte sie seufzend, als er fertig war.
    Strell blinzelte erstaunt. »Das ist ein Lied von der Küste. Es erzählt von einer jungen Frau, die es bitter bereut, dass sie sich in einen Seefahrer verliebt hat.«
    »Was ist so schlimm daran?«
    »Die See«, erklärte er mit großen, ernsten Augen, »ist eine eifersüchtige und tückische Geliebte. Jene Seelen, die ihr verführerisches Flüstern am deutlichsten hören und ihrem Ruf folgen, werden oftmals von ihrer Leidenschaft verschlungen und kehren niemals zu ihrer wahren Liebe zurück, die am Ufer auf sie wartet.«
    Alissa glaubte zu verstehen und hielt Strells intensivem Blick nicht mehr stand. »Oh.«
    »Pass auf, ich spiele ein anderes Lied über die weiten Wellen«, schlug Strell vor. »Ich sollte diese Lieder öfter üben, und du bekommst so vielleicht eine bessere Vorstellung von der gefahrvollen Schönheit dieser wilden, stürmischen Geliebten. Sie kann so vielfältig sein, dass ich meine, sie müsste unzählige Namen haben, nicht nur die wenigen einfachen, die wir Menschen ihr geben.« Sein Blick verlor sich in den Flammen, und er begann zu spielen.
    Alissa setzte sich aufrechter hin, entschlossen, jede Nuance der Melodie zu erfassen. Er war an der Küste gewesen; sie noch nicht. Seine Lieder brachten ihr das Meer so nahe, wie sie ihm wohl je kommen würde, und in letzter Zeit war sie unglaublich neugierig auf die See. Doch Strells Musik übte ihre übliche entspannende Wirkung aus, und nach drei oder vier Liedern war sie schon wieder zurückgesunken. »Gibt es denn keine fröhlichen Lieder über das Meer?«, beklagte sie sich, als er innehielt, um seine Kehle zu befeuchten.
    »Viele«, antwortete er und begann sogleich mit einem weiteren melancholischen Lied. Dies war ohne Zweifel die traurigste, gefühlvollste Darbietung, die sie je von ihm gehört hatte, und sie trieb ihr Tränen in die Augen und gab ihr ein plötzliches, irgendwie unerfülltes Gefühl ein. Sie spürte den schmerzvoll sehnsüchtigen Drang, endlich selbst das Tosen von Wind und Wellen zu sehen, das Salz in der Luft zu schmecken und zu wissen, dass sich der Horizont nie veränderte, aber auch niemals gleich blieb. Sie konnte nicht zulassen, dass Strell sie verließ!, dachte sie plötzlich. Sie musste mit ihm gehen.
    Alissa schnappte nach Luft, als sie merkte, dass Strell das mit Absicht getan hatte. Er hatte jedes Lied, jede Melodie eigens ausgewählt, um die Rastlosigkeit hervorzurufen, die sie nun fühlte. Sie sollte zornig sein, doch das war sie nicht. Sie hätte das Gleiche getan, wenn sie seine Fähigkeit besäße. »Strell«, sagte sie leise, mit einem Kloß in der Kehle und tränenverschleiertem Blick. »Ich kann nicht fortgehen.«
    Abrupt brach seine Musik ab, denn sein Manöver war durchschaut. »Ich weiß«, sagte er mit ruhiger, fester Stimme, den Blick noch immer auf das Feuer gerichtet. »Ich kann nicht bleiben. Sobald dieses Spiel zwischen Talo-Toecan und Bailic vorüber ist, bin ich fort.«
    Obgleich diese Worte sanft gesprochen wurden, trafen sie Alissa mit voller Wucht, und sie rang nach Luft. Es zu hören, es offen einzugestehen machte es furchtbar real. Sie konnten nicht länger so tun, als sei aus ihrer Freundschaft nicht etwas Machtvolleres erwachsen. Und bald würden sich ihre Wege

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