Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
Lodesh geduldig.
»Bewahrer und Schüler, und Meister natürlich, wann immer sie in der Pflicht stehen oder ihnen gerade danach ist«, sagte Talo-Toecan. »Kein anderer würde auch nur eine Woche überstehen, bei all den hitzigen Temperamenten und tödlichen Bannen überall. Wenn du es dir auch nur mit einem einzigen Bewahrer verscherzen würdest, puff! Ein Wandermusikant weniger!« Sein Blick war in die Ferne gerichtet, während er offenbar ganz in der Freude daran aufging, Verhängnis und Untergang zu verkünden.
Lodesh biss die Zähne zusammen. »Talo!«, brüllte er. Die Beleidigung, dass sein Name derart verstümmelt wurde, durchbrach Talo-Toecans Faszination für seine eigenen tragischen Prophezeiungen, und er blickte verärgert auf. »Der Pfeifer hat sie gehört. Wir alle haben sie gehört«, sagte Lodesh in die plötzliche Stille hinein.
Talo-Toecan wartete mit hochgezogenen Augenbrauen und hatte es offenbar noch nicht begriffen.
Lodesh warf Strell einen eindringlichen Blick zu. »Er hat angeblich keine brauchbaren Pfade? Und was ist mit mir? Ich habe noch niemals einen Meister der Feste gehört. Soweit ich weiß, auch kein anderer Bewahrer.« Strell und Lodesh sahen gemeinsam Talo-Toecan an.
»Äh … hm.« Die Gestalt des alten Mannes wand sich förmlich unter ihren strengen Blicken. »Ich weiß nicht«, gestand er schließlich ein. »Keribdis hätte etwas darüber gewusst. Vielleicht wird Alissa aufgrund der besonderen Umstände ihrer Kindheit in der Lage sein, sowohl mit Bewahrern als auch mit Meistern zu kommunizieren. Dass Lodesh sie gehört hat, könnte ich noch verstehen. Aber du, Strell?« Talo-Toecan musterte ihn abwägend. »Wie sie zu dir durchdringen kann, ist mir unbegreiflich.«
»Sie liebt ihn«, sagte Lodesh leise und musste eine Woge von Eifersucht hinunterschlucken, so bitter und scharf wie das Laub des letzten Jahres. »Liebe macht aus Unmöglichem ein Vielleicht.«
»Wenn Ihr das sagt«, entgegnete Talo-Toecan säuerlich und blickte sich auf der zerstörten Lichtung um. »Ich muss mich setzen«, flüsterte er und suchte nach einem Fleckchen, das nicht von Steinsplittern oder Holzspreißeln bedeckt war. Schließlich, offenbar völlig erschöpft, gab er sich mit dem nackten Boden zufrieden, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ein Kissen zu erschaffen.
Lodesh setzte sich zu ihm und betrachtete die Kiefernzweige, die im Wind schaukelten. »Ihr Band ist stark«, warnte er. »Es hat sie gerettet. Weder Ihr noch ich hätten ihr Bewusstsein so leicht zurückbringen können.«
»Das ist mir klar«, erwiderte Talo-Toecan düster, die Augen gegen die grelle Sonne geschlossen.
Strell sank unsicher zwischen ihnen auf den Boden. Er ließ Alissa keinen Moment aus den Augen.
Lodesh riss den Blick vom Himmel los und strich über seinen makellos glatten Ärmel. »Ihr könntet sie dennoch verlieren«, sagte er leise.
»Sie könnte auch jetzt noch verwildern?«, japste Strell. Mit aufgerissenen Augen wollte er aufspringen, zögerte jedoch, als er Lodeshs beruhigendes Lächeln sah. Sogar Talo-Toecan öffnete die Augen und streckte besänftigend die Hand aus. Offensichtlich erleichtert, ließ sich Strell zurücksinken.
»Nein, sie ist für immer Alissa«, antwortete Talo-Toecan. »Sie schläft nur.«
»Wann wird sie aufwachen?«, fragte Strell.
»Vor Sonnenuntergang.«
»Wie lange dauert es noch«, fuhr er sehnsüchtig fort, »bis sie sich zurückverwandelt?«
Lodesh lächelte verständnisvoll. Talo-Toecan jedoch runzelte die Stirn. »Du kannst es wohl kaum erwarten?«, grollte er. »Das kommt darauf an.« Er beäugte Strell, als überlege er, wie viel er ihm enthüllen durfte. Dann verzog er das Gesicht. »Sofern Alissa nicht etwas von ihrer alten Gestalt dazu nutzen kann, ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, könnte das eine Weile dauern. Bei jungen Rakus wird ein ausgefallener Zahn oder ein Stück Klauennagel eigens zu diesem Zweck für die erste Verwandlung aufbewahrt. Wir hätten es bei Alissa ähnlich machen sollen, doch wir waren nicht vorbereitet. Sie wird warten müssen, bis das ganze System sich beruhigt hat und sie sich an ihr primäres zelluläres Muster erinnert.«
»Ihr meint ihre Pfade?«, rief Strell.
Talo-Toecan erhob sich und blickte von Strell zu Alissa hinüber. »Nein«, entgegnete er seufzend. »Ihr neuronales Muster ist vollkommen unverändert. Ich meinte die Form, die Gestalt, in der sie zur Welt kam.«
Strell schwieg lange. Dann runzelte er die Stirn und
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