Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Alissa um. Sie lächelte ihn stolz von ihrem Kissen aus an und sah dabei aus, als kämpfe sie mit den Tränen.
Redal-Stan bedeutete ihm mit großspuriger Geste, wieder vorzutreten, und die Stadt verstummte. Wie im Traum setzte Lodesh einen Fuß vor den anderen. Er spürte das Kribbeln eines Banns. Seine Worte, so leise er sie auch aussprechen mochte, würden von allen vernommen werden. Der Wind trieb den heißen Duft der Wiese heran und zerzauste ihm das Haar, und hinter ihm rieselten friedvoll die Euthymienblüten herab. Eine ließ sich auf seiner Schulter nieder, und er griff danach und zog Kraft aus dem vertrauten Duft. Alles würde wieder gut werden. Er würde seinen Hain nicht für immer verlassen müssen.
»Ese’ Nawoer«, sagte er in die Stille hinein und zögerte dann. »Ich bin überwältigt und fühle mich sehr geehrt.« Er hob die Blüte, das traditionelle Symbol der Zuneigung zwischen Liebenden. »Und mir fehlen schlicht die Worte.« Er grinste, und die Menge brach in donnernden Jubel aus. Sie hatten ihren Stadtvogt.
»Bei den Wölfen«, flüsterte Earan. »Er war bereits der Stadtvogt, noch ehe wir Onkel verloren hatten«, und Redal-Stan brummte zustimmend.
Lodesh fühlte es, als Alissa hinter ihm zusammenbrach. Er und Redal-Stan drehten sich im selben Augenblick um, doch der Meister setzte sich als Erster in Bewegung. »Schnell, Connen-Neute«, befahl Redal-Stan barsch. »Hilf mir, sie hier wegzubringen. Bei den Wölfen, warum hat diese jämmerliche alte Krähe, die sich Raku nennt, ihr nicht wenigstens einen Schildbann beigebracht!«
Lodesh hatte erst einen halben Schritt in ihre Richtung getan, als ein starker Arm ihn zurückhielt. »Halt, kleiner Bruder«, mahnte Earan. »Wenn du gehst, ohne sie mit einer Rede zufrieden zu stellen, werden sie wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist, und beunruhigt nach Hause gehen, weil sie glauben, dass deine Amtszeit mit einem schlechten Omen begonnen hat.«
Lodesh schüttelte Earans Arm ab und beobachtete frustriert, wie Connen-Neute Alissa in die Rückwand des Zeltes wickelte. Die beiden Meister verwandelten sich, jeder ergriff ein Ende der Zeltbahn, und sie erhoben sich mühsam in die Luft. Redal-Stan war fast grau vor Sorge und Alter, Schnauze und Schwanz dunkel gefärbt. Connen-Neute hingegen war jung und unerfahren mit dem Tragen von Lasten im Zweiergespann. Lodesh sah zu, wie sie in der Ferne verschwanden. Sie würden es zur Feste schaffen. Sie mussten es schaffen, dachte er und zwang sich, daran zu glauben.
Er rang nach Luft und drehte sich wieder um. Die Menge hatte die davonfliegenden Meister bemerkt, und ein unruhiges Raunen lief durch die Reihen. Lodesh schob entschlossen seine besorgten Gedanken an Alissa beiseite. Es ging nicht anders. Die Bewohner von Ese’ Nawoer waren scharfsinnig und schlau. Sie würden jegliche Sorge, jedes Zögern bemerken und es wie eine eifersüchtige Geliebte spüren, wenn er mit den Gedanken nicht bei ihnen war, bei ihnen allein. Doch er liebte sie ja auch, diese störrischen, sturköpfigen, wohlwollenden Menschen, und zu ihnen gehörte er. Stolz sah er sie an und holte Luft. »Volk von Ese’ Nawoer …«
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I hre Schulter tat entsetzlich weh. Zuerst war das der einzige Gedanke, den Alissas benebelter Kopf fassen konnte. Und den scheußlichen Geschmack in ihrem Mund. Ihre Zunge fühlte sich geschwollen an und ihre Kehle heiser, als hätte sie geschrien. »Bestie?«, rief sie in ihrem Geist, und eine blendende Woge von Schmerz donnerte durch ihren Kopf.
Wimmernd rollte sie sich auf der Seite zusammen, die Knie an die Brust gezogen. Sie waren wieder da. Ihre berüchtigten Kopfschmerzen. Im Rhythmus mit ihrem Herzschlag pulsierte diese Qual durch ihren Körper. Alissa zog die Schultern ein und atmete so flach wie möglich, während die Pein allmählich abflaute. Sogar das Atmen tat weh.
Mit solchen Schmerzen aufzuwachen war ihr früher zu einer Gewohnheit geworden, die sie ganz gewiss nicht genoss, aber sie hatte gelernt, damit umzugehen. Ehe sie also ihr traditionelles Stöhnen ausstieß, untersuchte sie ihre Pfade. Sie waren klar und sauber. Derart beruhigt, dass sie sich die Pfade nicht vorübergehend zu Asche verbrannt hatte, zählte Alissa die Tage ab und entschied, dass sie einen Heilungsbann versuchen konnte.
Die erste Woge der Wärme strömte in sie hinein und löste den Schmerz auf. Es war wunderbar, wie schnell die scharfen Spitzen von Schmerz in ihren Schultern zu einem dumpfen Pochen
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