Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
einer so edlen und verdienstvollen Unternehmung zu begleiten?« Redal-Stan schnaubte ordinär und trank schlurfend Tee. »War es so richtig?«
»Beinahe«, erwiderte Lodesh verletzt.
»Die Antwort lautet nein. Ich muss feststellen, wo ich mit ihrer Unterweisung anzusetzen habe. Es scheint«, erklärte er säuerlich, »dass ich den restlichen Vormittag darauf verschwenden muss, ihr beizubringen, wie man die Uhr liest.«
Alissa errötete, als Lodesh ihre Hand nahm. »Ich kann nichts weiter für Euch tun und muss mich mit Bedauern von Euch verabschieden, meine Teuerste«, sagte er, und Redal-Stan gab ein ungeduldiges Schnauben von sich. »Ihr müsst dem Ansturm von Redal-Stans Gedanken und Anforderungen wohl allein standhalten.« Sie spürte einen leichten Druck an ihren Fingern, und er verneigte sich mit der Anmut eines Edelmanns. »Mav«, sagte er, schon auf dem Weg zur Tür, »wird so enttäuscht sein.«
Redal-Stan verschluckte sich an seinem Tee. »Was? Wie war das?«
»Mav wird enttäuscht sein.« Lodesh zögerte mit gesenktem Kopf auf der Türschwelle.
»Äh, Lodesh?« Redal-Stan schüttelte Tee von seiner Hand und beugte sich vor, um ihn sehen zu können. »Warum wird Mavoureen nicht erfreut darüber sein, dass Alissa heute Vormittag von mir unterrichtet wird?«
Lodeshs Zeh schob sich wieder über die Schwelle nach drinnen. »Kally wurde ein Fohlen aus der wilden Herde zugesprochen«, erklärte er zögerlich. »Ich habe Mav versprochen, sie an meinem freien Tag in die Stadt zu begleiten, damit ich ihr ein Tier aussuche, das sowohl gesund als auch hübsch anzusehen ist.« Lodesh blickte über seine Schulter zur Treppe, als wäre es ihm unangenehm, dass Redal-Stan nachbohrte.
»Was hat das mit Alissa zu tun?«, fragte der Meister.
»Bis zum Ende der Woche werden sich die Rotzlöffel aus der Stadt, deren Zeit nicht von solchen Belanglosigkeiten wie Arbeit und Verpflichtungen beansprucht wird, alle guten Fohlen herausgepickt haben. Es ist ein Jammer«, sagte er leise, »dass Kally für ihre viele Mühe bestraft wird, während jene, die nicht zu arbeiten brauchen, belohnt werden. Mav würde Kally einen halben Tag freigeben, nur damit sie ein gutes Pferd bekommt, aber …«
»Ja?«, forderte Redal-Stan ihn auf.
»Es wäre unschicklich, wenn ich allein mit ihr in die Stadt ginge. Ich hatte gehofft, Alissa könnte uns begleiten, als Anstandsdame.«
Alissa hörte Connen-Neute neben ihr unterdrückt kichern.
»Mav würde sich so darüber freuen«, fügte Lodesh hoffnungsvoll hinzu.
Redal-Stan verzog das Gesicht, so dass sich seine glatte Stirn bis zur Hälfte seines kahlen Schädels kräuselte. »Und wenn ich je wieder einen kandierten Apfel auch nur zu sehen bekommen möchte, werde ich Mavoureen wohl bei Laune halten müssen.«
Alissa hielt den Atem an. Sie würde zu gern Ese’ Nawoer mit all seinen Menschen darin sehen.
Redal-Stan bemerkte ihre begierige Miene und seufzte. »Ist dies etwas, das du gern tun möchtest, Eichhörnchen?«, fragte er sie stumm.
»Sehr gern. Ich bitte Euch«, antwortete sie prompt und wunderte sich über den seltsamen Spitznamen.
»Ein ganzer Vormittag verschwendet«, stöhnte Redal-Stan laut.
Lodesh trat wieder in das Turmzimmer. »Ich kann ihr beibringen, wie man die Stunden liest.«
»Meinst du?« Redal-Stan lachte in sich hinein, und ohne eine Antwort abzuwarten, sagte er: »Also schön. Aber wenn es dir nicht gelingt, wirst du drei Abende hintereinander das Licht im Speisesaal der Schüler anzünden.«
»Zwei«, hielt Lodesh dagegen, und Alissa runzelte die Stirn, da er ihr offenbar so wenig zutraute.
»Abgemacht.« Redal-Stan wandte sich Connen-Neute zu. »Möchtest du sie begleiten?«
»Nein, danke«, sagte der junge Meister lautlos. »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es klüger ist, sich nicht in Lodeshs Pläne einzumischen.«
»Verbal, bitte«, sagte Redal-Stan mit ungeduldigem Seufzen. »Es sind Bewahrer anwesend.«
»Nein.« Die Stimme war melodisch, dunkel und voll.
»Wunderbar!«, rief Lodesh aus. »Kommt rasch, Alissa, ehe er es sich anders überlegt.« Er packte sie am Arm und schleifte sie beinahe über die polierten Dielen. »Kally ist bereits im Stall«, fügte er flüsternd hinzu.
»Aber mein Tee!«, protestierte sie, als Lodesh sie auf den Flur zerrte.
»Viel Vergnügen, Eichhörnchen«, war Redal-Stans Gedanke zum Abschied. Und schon waren sie die schmale Turmtreppe halb hinuntergerannt.
– 8 –
A lissa ließ sich die enge
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