Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
so zornig sein!« Tränen tropften von ihren Wangen, und Alissa stand verlegen daneben und wusste nicht, was sie tun sollte.
»Psst.« Lodesh tröstete das Mädchen mit einer brüderlichen Umarmung. »Vielleicht hat ihn eine Mücke gestochen.«
Schniefend blickte sie auf. »Ich glaube, er hat sich am Bein verletzt«, sagte sie und bekam Schluckauf. »Ich …«
»Was unter den Wölfen des Navigators ist hier los!«, hallte eine bellende Stimme durch den Stall. Die Pferde schnaubten zur Begrüßung, und Alissa fuhr herum. Ein großer Mann füllte einen nahen Durchgang so vollständig aus, dass er Alissa an einen Felsbrocken erinnerte, der eine Höhle verschloss. Es lag nicht daran, dass sein ausgefranster Hut fast den oberen Türrahmen streifte oder dass seine Schultern beinahe so mächtig wirkten wie die Wände, nicht einmal an seinen Beinen, deren Umfang größer als der eines kräftigen Baums war. Es war seine Ausstrahlung. Flankiert wurde er von zwei mageren Jungen. Alle drei waren von harter Arbeit in Schweiß gebadet.
Lodesh schenkte Coren ein beruhigendes Lächeln und richtete sich auf. »Guten Morgen, Hilder«, sagte er. »Sturmwind war der Meinung, er sei jetzt gesund genug, um freigelassen zu werden.«
»Das sehe ich.« Stirnrunzelnd wandte Hilder sich von der zerstörten Gattertür ab. Als er sah, wie verängstigt Coren war, kniete er sich hin, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Das war nicht deine Schuld, Coren«, sagte er. Seine Stimme klang gütig, hallte aber trotzdem wie Donnergrollen von den dunklen, staubigen Deckenbalken wider. »Ich weiß, dass du mit den nervösen Tieren gut umgehst. Du hast gewiss nichts falsch gemacht.«
Erleichterung breitete sich über Corens Gesicht. Der große Mann stand auf, und anscheinend war die Angelegenheit damit für ihn erledigt. Während die Pferde weiterhin schnaubten und mit den Hufen stampften, sah er sich den Schaden näher an. Hilder untersuchte jedes zersplitterte Brett einzeln. »Lodesh?«, murmelte er. »Wenn Ihr so freundlich wärt?« Mit einem Zupfen an Alissas Bewusstsein erblühte ein weiches Leuchten und tauchte den Stall in ungewöhnlich helles Licht. »Da haben wir’s«, hauchte Hilder und hielt einen Holzsplitter in Lodeshs Licht. »Er blutet.«
Lodesh strich mit dem Finger unter der verräterischen Blutspur entlang. »Wir wollen gerade zur Wiese. Ich werde mich vergewissern, dass er gut hinfindet, und nachsehen, ob er sich richtig bewegt.«
Sein Licht erlosch, und Hilder verzog das Gesicht und warf den Holzsplitter achtlos beiseite. »Das wäre nett von Euch. Ich werde genug damit zu tun haben, die Übrigen wieder zu beruhigen.« Er lachte leise. »Wir hatten seit Jahren keine Flucht mehr aus diesem Stall. Bei den Wölfen«, fluchte er und beobachtete die Pferde, die immer noch die Köpfe hochwarfen und nervös herumtänzelten. »Es ist beinahe so, als wäre ein Meister heruntergekommen.«
Alissa erstarrte. Es war ihre Schuld. Sturmwind hatte ihretwegen seine Gattertür eingetreten und war geflohen.
»Coren!«, brüllte Hilder, und Alissa fuhr zusammen. Die Pferde jedoch schienen sich eher zu beruhigen.
»Ja, Stallmeister Hilder?« Das Mädchen sprang von dem Heuballen auf und starrte auf den Boden.
»Wenn du dich wieder im Griff hast, hol ein Pferd für Kally. Eines, das nicht gleich davonläuft.«
»Ja, Stallmeister Hilder«, seufzte Coren erleichtert. Sie und Kally verschwanden in einem weiteren Durchgang. Die beiden steckten die Köpfe zusammen und verglichen die Eigenschaften der Pferde, an denen sie vorbeigingen.
»Du da!« Das galt einem der Jungen, der an der Wand gelehnt hatte und sich nun langsam aufrichtete. »Hol Graus, und vergiss nicht, dass er das Zaumzeug aus Seil bekommt.«
»Graus ist auf der Wiese, Hilder«, sagte Lodesh. »Darf ich mir eines Eurer Pferde borgen?«
»Tatsächlich.« Hilder drehte sich zu einem leeren Verschlag um. »Ich hätte seine wunderbare Abwesenheit bemerken müssen.« Mit schmutzigen Fingern fuhr er sich unter den Hut und durchs Haar. »Da hätten wir Nachtschatten.« Er zuckte mit den Schultern. »Für sie wäre es auch mal wieder Zeit für die Wiese. Ihr könnt sie dort lassen oder mit ihr zurückkehren, wie Ihr wollt.«
Lodesh nickte zustimmend. »Seilzaum auch für sie, bitte.«
»Sie ist nicht daran gewöhnt«, warnte Hilder.
»Wir werden uns bestens verstehen«, erwiderte Lodesh und streichelte eine lange Nase. Das war offenbar Nachtschatten.
»Wie Ihr wünscht.« Hilder wandte sich
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