Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
heute Abend mit mir zum Hain«, erklärte Lodesh.
Nisi lehnte sich so heftig zurück, dass ihre Haarspitzen über ihre Schultern glitten. »Schon gut.« Sie wirkte verärgert und rieb an einem Fleck an ihrem Becher herum.
Alissa gefiel es nicht, wie er Nisi behandelte, und sie runzelte die Stirn. »Ich habe noch nicht ja gesagt«, erklärte sie.
Lodesh öffnete den Mund, und als sie ihn mit großen, spöttisch blitzenden Augen ansah, blickte er erschrocken drein. »Ja!«
Plötzlich sprang er auf, stand mit einem dramatischen Satz auf der Bank ihnen gegenüber und warf sich elegant in Pose. »Alissa entscheidet stets selbst, was sie tut! Und ich hoffe«, sagte er, trat herunter und nahm ihre Hand, »dass sie sich dafür entscheidet, mich heute Abend zum Hain zu begleiten.« Sein Blick bohrte sich erwartungsvoll in ihren.
Nisi lachte herzhaft auf. Alissa konnte sich ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen, und sie nickte und verzieh ihm. Beim Geräusch hastiger Schritte blickten sich alle um, und Ren kam um die letzte Kurve gerannt. »He! Hallo«, rief er atemlos und kam strauchelnd zum Stehen. »Komme ich zu spät?«
Lodesh schüttelte in fröhlicher Resignation den Kopf. »Nein. Setz dich. Nimm meinen Becher. Ich habe schon Tee getrunken.«
Ren ließ sich auf die Bank plumpsen und tat einen tiefen Zug. »Au!«, rief er, beugte sich vor und befühlte seine Lippe. »Bei den Hunden, das war heiß. Jetzt werde ich den ganzen Tag nichts mehr schmecken.«
»Hast du denn schon gegessen?«, fragte Alissa, die bereit war zu teilen.
»Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.«
Nisi schnappte nach Luft. »Holt den Arzt. Ren hat keinen Hunger!«
»Was ist denn los, Ren?« Lodesh ließ den Blick über die Kleidung des zappeligen Schülers gleiten. »Ist das nicht dein guter Kittel? Und nagelneue Stiefel?«
Mit roten Ohren blickte Ren auf das gefärbte Leder hinab. »Ja. Mav hat sie mir geschenkt. Heute ist mein Jahrestag.«
Lodesh und Nisi wechselten einen wissenden Blick. Nisi tätschelte Rens Knie. »Viel Glück. Dieses Jahr wirst du bestimmt anerkannt.«
Ren lächelte schwach. »Asche, das hoffe ich. Der Schülerschlafsaal wird allmählich unerträglich. Es wäre herrlich, ein Zimmer zu haben, mit einer Tür, vier Wänden und einem Fenster.« Er seufzte träumerisch.
Nisi kicherte. »Und einem Boden, den du fegst, und einem Kamin, den du mit Feuerholz versorgst, und …«
»Nicht!«, jaulte Ren und winkte abwehrend mit der Hand. »Lasst mich träumen.«
Alissa wandte sich Lodesh zu. »Jahrestag?«
Lodesh unterbrach seine Kaubewegungen und nickte. Er schluckte und sagte: »Ach ja. Ihr seid ja noch keine Woche hier. Es kommt mir viel länger vor«, fügte er hinzu, und Alissa gab ihm im Stillen recht. »Jedes Jahr werden die Schüler neu beurteilt, ob ihnen der Bewahrer-Status zuerkannt werden sollte.«
Nisi hob die Teekanne. Als sie Alissa lächeln sah, füllte sie alle Becher wieder auf. »Ren ist jetzt seit zwölf Jahren als Schüler hier«, sagte Nisi. »Mit siebzehn wäre er recht jung für einen Bewahrer, aber so etwas hat es schon gegeben.«
Ren zappelte herum. »Je jünger man beginnt, desto einfacher ist es«, erklärte er.
»Also«, rief Alissa aus, »könntest du heute möglicherweise ein Bewahrer werden?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach.« Ren sank zusammen, richtete sich jedoch gleich wieder auf. »Aber ich werde immerhin erfahren, ob ich als Bewahrer in Betracht gezogen werde. Die Entscheidung muss von einer Versammlung von Meistern abgesegnet werden. Und von denen werden nicht genug da sein, ehe es im Flachland friert und sie für den Winter auf die Feste zurückkehren.«
Neben Alissa seufzte Nisi schwer. »Dann heißt es, zurück zu den Lektionen und Übungen. Ich finde es herrlich, wenn die Wanderlust sie so stark überkommt. Dann genießen alle mal eine wohlverdiente Pause.« Nisi warf Alissa einen entschuldigenden Blick zu. »Na ja, fast alle.«
Das erinnerte Alissa an ihren Unterricht, und sie stand auf und wischte sich die Krümel vom Rock. »Wo wir gerade davon sprechen, ich sollte jetzt gehen.«
Lodesh erhob sich mit ihr. »Ich begleite Euch.«
Alissa lächelte listig. »Redal-Stan wird nicht vergessen haben, dass Ihr ihm zwei Tage Lichtdienst im Speisesaal der Schüler schuldet. Er könnte darauf bestehen, dass Ihr gleich heute Abend anfangt.«
»Nur bis zur Küche«, sagte er, nahm ihren leeren Teller und ihren Becher und half ihr die Stufen hinauf.
»Ja, geht rasch«,
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