Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Wölfen meines Herrn, Alissa. Was hast du getan?«
»Ich weiß es nicht.« Unglücklich schlug sie die Augen nieder und ließ den Bann fallen.
Niemand sprach ein Wort, bis sich Redal-Stan in das unbehagliche Schweigen hinein räusperte. »Connen-Neute, ich wollte dich eigentlich auf einen kleinen Botengang schicken, aber wie wäre es, wenn du noch bliebest? Ich möchte sehen, wie Alissa zwischen den Linien springt, um mich zu vergewissern, dass sie dabei nicht irgendetwas Seltsames tut, und deinem Studium würde das auch nicht schaden. Du kennst die Theorie; du kennst die Muster. Es wird höchste Zeit, dass du auch einmal springst.«
Connen-Neute fuhr kerzengerade hoch. Ein erwartungsvolles Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er ignorierte Redal-Stan, der diese Begeisterung mit einem Schnauben quittierte, verbarg die Hände in den Ärmeln und zog die Füße unter sich aufs Sofa. Aus reiner Widerborstigkeit stellte Alissa ihre Füße fest auf den Boden.
Redal-Stan bemerkte es und zog die nicht mehr vorhandenen Brauen in die Höhe. »Nun baut schon den aschebedeckten Bann auf!«, schrie er, so dass sie und Connen-Neute zusammenzuckten. »Aber ich will das Muster noch einmal überprüfen, bevor ihr es wirken lasst, und – äh – benutzt keinen Septhama-Punkt.« Er schloss die Augen und tat so, als schaudere er. »Benutze eine deiner eigenen Erinnerungen, Alissa.«
Alissas Herz machte einen Satz. Sie würde es tun. Er erlaubte ihr tatsächlich, selbst einen Liniensprung zu versuchen! Redal-Stan beobachtete sie erwartungsvoll. Seine Finger waren an den Spitzen zusammengeführt, genau wie sie es so oft bei ihrem Vater gesehen hatte, der diese Angewohnheit vermutlich von Talo-Toecan übernommen hatte, der wiederum diese Geste ganz sicher von Redal-Stan hatte. Nun, das, schwor sie sich, war etwas, das sie nie tun würde. Wieder streckte sie die Beine aus und stellte die Füße fest auf den Boden, obwohl sie sich gar nicht erinnern konnte, wann sie sie wieder unter sich gezogen hatte. Mit offenen Augen baute sie das erforderliche Muster auf.
Redal-Stans Blick wurde leer, und dann nickte er. »Perfekt«, murmelte er. »Connen-Neute, sieh genau hin. Ich werde dich später bitten, das nachzubilden. Achte ganz besonders auf die Menge an Energie, die sie dazu benutzt. Alissa scheint ein gutes Gespür dafür zu haben, wie viel nötig ist, um eine gute Resonanz zu erzeugen, ohne den Bann auszulösen.« Er wandte sich ihr zu. »Wohin wirst du uns bringen?«
Vor Aufregung sog sie gierig die Luft ein und zwang sich, die Schultern wieder locker an das Sofa zu lehnen. Ihre Beine zogen sich wie von selbst erneut unter ihren Körper, und sie fand sich damit ab und ignorierte Redal-Stans leises Kichern. Dann überlegte sie. Strell?, dachte sie. Die Erinnerungen an ihn waren am stärksten, doch sie konnte die Vorstellung nicht ertragen. »Kralle«, verkündete sie mit Bestimmtheit.
»Wer?«, fragte Redal-Stan, die Augen verwundert aufgerissen.
»Kralle«, bekräftigte sie. »Mein zahmer Falke. Sie ist bei mir, seit ich zwölf war.«
»Ein Vogel!«, sagte Connen-Neute bestürzt. »Von all den aufregenden Dingen, die du erlebt hast, willst du uns einen zahmen Vogel zeigen? Warum nicht diesen wahnsinnigen Bewahrer, Bailic?«
Alissa benutzte ihre Wut, um die Angst vor der Erinnerung an Bailic zu verbergen. »Ich mag Bailic nicht. Ich will euch Kralle zeigen«, fuhr sie ihn an. »Und wenn dir das nicht aufregend genug ist, dann kannst du … kannst du …« Sie schürzte die Lippen und wies auf die Balkonbrüstung. »Von mir aus da runterspringen!«
»Beherrschung, Eichhörnchen«, sagte Redal-Stan lachend. »Ich bin sicher, deine Erinnerungen an Kralle werden höchst aufschlussreich sein.«
Besänftigt zupfte Alissa mit einer hastigen Bewegung ihren Rock über die Spitzen ihrer Pantoffeln. Sie warf Connen-Neute einen letzten finsteren Blick zu – wobei sie bemerkte, dass er keineswegs zerknirscht aussah – und wandte sich dann wieder an Redal-Stan. »Was tue ich jetzt?«, fragte sie nervös.
»Bau den Bann auf, richte deine Gedanken auf die Erinnerung aus und erlaube dem Bann, dein Bewusstsein auf den richtigen Weg zu leiten. Ich schlage vor, du konzentrierst dich auf die erdigen Empfindungen, bis die Erinnerung in Schwung gekommen ist. Geruch und in geringerem Maße auch taktile Empfindungen sind machtvolle Auslöser für Erinnerungen. Lass Connen-Neute und mir nur noch einen Moment Zeit, unsere Pfade so vorzubereiten, dass
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