Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Aber du bist in Gefahr. Sag deiner Bestie, dass hier dein Leben auf dem Spiel steht.«
Alissa atmete tief durch. Ihr Herz hämmerte, und ihr war schlecht, so sehr schmerzte ihre Hand. »Denke nur an den Wind«, sagte Bestie und brachte Alissa noch mehr durcheinander. »Ich möchte ganz ich selbst sein, wenn ich ihr antworte. Deshalb musst du dich entspannen und darauf vertrauen, dass ich dich an dich zurückgeben werde, wenn ich fertig bin.«
Alissa nickte und merkte, dass alle still waren. Ein seltsames Gefühl des Abgespaltenseins überkam sie. Sie verkrampfte sich, und ihre Finger umklammerten den Becher. Auf Besties Ermahnung hin entspannte sie sich und wunderte sich auf einmal, warum sie die Aufwinde nicht mehr sehen konnte und warum die Brandung so gedämpft klang. Ihre Angst vor Keribdis schlug in Verachtung um. Wie konnte dieses alte Weibchen es wagen, sie in der Luft schlagen zu wollen! Sich der Kraft der Jugend zu ergeben, war das Gesetz der Welt.
Alissa erschauerte, und alle schnappten nach Luft. Kralle verließ sie und flatterte zu Silla. Die junge Frau schien den Vogel gar nicht zu bemerken, sie umklammerte Connen-Neutes Arm. »Du bist alt«, hörte Alissa sich sagen, und sie sprach mit einer Sorgfalt, auf die sie gewöhnlich verzichtete.
Keribdis wurde aschfahl und überspielte ihren Schreck, indem sie aufstand. »Sie will mehr Abstand zu uns halten«, sprach Bestie in Alissas Gedanken. »Sie weiß, dass wir besser fliegen als sie.« Alissa wurde schwindlig, als sie versuchte, einen Blick auf die Menge zu werfen, es aber nicht konnte. Bestie konzentrierte sich ganz auf Keribdis, so intensiv wie ein Raubtier auf seine Beute, und ließ nichts anderes zu. »Aber mit dir werde ich nicht sprechen«, sagte Bestie zu Keribdis. »Du bist ein Kind und würdest alles missverstehen, was ich zu sagen hätte.«
»Ein Kind!«, rief Keribdis aus. Ihre Angst war verschwunden oder sehr gut verborgen. Sie warf den Kopf zurück und ließ die Bänder flattern, ein leicht durchschaubarer Versuch, die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Bestie veränderte ganz leicht ihre Haltung. Es war eine geringfügige Bewegung, doch die Gesichter der Männer in der Menge erschlafften plötzlich. Bestie verstand nun, dass sie sie damit zu einem Versuch ermunterte, sie zu Boden zu bringen. Doch solange sie jederzeit frei davonfliegen konnte, war es ein Vorteil, sie mit einem Begehren zu erfüllen, das sie nicht befriedigen konnten – das verlieh ihr Macht über sie.
»Ich bin kein Kind!«, rief Keribdis und errang zumindest die Aufmerksamkeit der Frauen. »Ich bin siebenhundert Jahre älter als du, du aschebedecktes Hochland-Balg.«
Alissa spürte, wie der Atem sie in einem sinnlichen Seufzen verließ. »Ich erinnere mich an die Geburt des Windes«, sagte sie langsam. »Du reitest ihn nur.«
Keribdis blinzelte, und ihre Lippen öffneten sich leicht. Doch ehe die Meister hinter ihr wieder daran dachten, Luft zu holen, hatte sie die Zähne erneut fest zusammengebissen.
»Vielleicht war das genug, Bestie?«, bemerkte Alissa, denn es gefiel ihr nicht, so gar keine Kontrolle zu haben. Kein Wunder, dass Bestie gerne flog. Das war die einzige Freiheit, die Alissa ihr gewährte. Vielleicht behandelte sie ihr wildes Bewusstsein doch nicht so gerecht, wie sie gedacht hatte.
»Bist du sicher?«, fragte Bestie und sog die süße Luft ein, und zum ersten Mal roch Alissa den Unterschied zu den Euthymien zu Hause. »Ich könnte das hier rasch beenden, wenn du dich verwandeln würdest. Dies sollte in der Luft ausgemacht werden, wie es schon seit tausenden von Jahren der Brauch ist.«
»Nein!«, rief Alissa laut und riss die Kontrolle wieder an sich. Die Welt schien kurz an Schluckauf zu leiden, und Alissa blinzelte und war ein wenig verblüfft, dass sie alles wieder auf die gewöhnliche, alltägliche Weise sah.
Die Meister wechselten beklommene Blicke. Offensichtlich hatten sie erkannt, dass Bestie fort war. »Was hat sie zu dir gesagt?«, fragte Keribdis, deren Augen das raubtierhafte Schimmern verloren hatten. »Ganz zum Schluss?«
Alissa gestattete sich ein höhnisches Lächeln, obgleich sie innerlich zitterte. »Sie hat vorgeschlagen, dass wir das in der Luft ausmachen sollten, wie es seit tausenden von Jahren der Brauch ist.«
Keribdis trommelte mit den Fingerspitzen gegeneinander, als wollte sie damit Alissas kürzere Finger herausstellen. »Vielleicht sollten wir das tun«, drohte sie.
Bestie stürmte vorwärts. »Du
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