Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
und Lodesh zu. »Er hat gar nichts gesagt!«, rief sie verwundert. »Er hat uns nicht einmal angesehen!«
Lodesh kniff die grünen Augen zusammen und rückte seinen Hut zurecht.
»Die Segel hoch!«, rief Hayden brüsk, als sei die Albatros sein Schiff, solange der Kapitän schlief. »Sonst kommen wir überhaupt nirgendwohin.«
Lodesh nahm Alissa am Ellbogen und zog sie dicht zu sich heran. »Lass mich rasch Strell dabei helfen, die Segel zu setzen, dann sehe ich nach, was mit Connen-Neute los ist.«
»Er hat Land gefunden«, sagte Alissa mit einem scheußlichen Gefühl in der Magengegend. »Ich weiß es.« Sie warf Strell einen Blick zu. Er setzte bereits ein Segel, doch seine Bewegungen waren langsam und wirkten niedergeschlagen.
Lodesh presste beklommen die Lippen zusammen. Auf einmal sah er müde aus, als sei seine gesamte tragische Geschichte binnen eines Augenblicks über ihn hereingebrochen. Sie hatte seinen Fluch fast vergessen, die Schuld einer ganzen Stadt, die auf seiner Seele lastete. Die Erinnerung an den Schmerz, den er mit sich herumtrug, strahlte nun deutlich von ihm aus. Doch darunter entdeckte sie den Hinweis darauf, dass er etwas wusste, was sie nicht wusste.
Die verlorenen Meister sind tot, dachte sie. Ihr Magen zog sich zusammen, und ihre Haut wurde kalt.
»Ich frage ihn, was er gefunden hat«, sagte sie, denn Lodesh sollte sie nicht von der Wahrheit abschirmen. Lodesh holte Luft, um zu widersprechen, und sie runzelte die Stirn. »Strell braucht deine Hilfe«, fügte sie hinzu und machte hastig kehrt. Sie ließ die beiden stehen, ohne sich noch einmal umzuschauen, eilte zur Kombüsenluke und stieg rückwärts die Leiter hinunter.
Das plötzliche Fehlen des Windes ließ das Gefühl der Enge nur noch stärker wirken. Sie kniff die Augen zusammen, während diese sich ans Dämmerlicht gewöhnten, und fand Connen-Neute in der Kombüse, einen schlaffen Wasserschlauch in den langen Händen. Er trank, und seine Kehle bewegte sich heftig, während er den Schlauch in einem Zug leerte. »Connen-Neute?«, sagte sie leise.
Er unterbrach sich, um Luft zu holen, und hustete heftig. Seine Augen tränten, und sie trat besorgt einen Schritt näher. »Bei den Wölfen«, fluchte sie. »Du hast sie gefunden. Sind sie alle tot?«
Ohne sie anzusehen, hob er die Hand, damit sie nicht weitersprach. Alissa sank der Mut. Beim Gedanken an Nutzlos schloss sie die Augen. Es war geschehen. Alles war umsonst gewesen. Es wäre besser gewesen, sie wäre nie hier herausgekommen und hätte Nutzlos falsche Hoffnung gemacht. Über sich an Deck hörte sie Hayden Befehle brüllen. Das gedämpfte Rauschen von Wind und Wellen wurde stärker, und das Schiff setzte sich in Bewegung. Sie tastete nach Halt, als der Boden krängte.
»Aber Silla«, sagte sie, weil sie das Schlimmste nicht wahrhaben wollte. »Irgendjemand muss doch noch am Leben sein.«
Connen-Neute holte zittrig Atem und ließ den Wasserschlauch sinken. »Du solltest dir das Haar waschen«, sagte er. »Wasch dir das Haar, wasch dir das Gesicht, und wasch dir die Füße.« Er holte Luft. »Flicke deine Strümpfe. Säubere deine Nägel. Schrubb dir den Rücken.« Er zeigte mit einem langen Finger auf sie, und sein Blick verschwamm.
Alissa beobachtete ihn und öffnete verwundert den Mund. Sie nahm ihm den Wasserschlauch ab, hielt die Nase an die Öffnung und fuhr zurück. Das war kein Wasser, das war Haydens Rumvorrat! Der Mund blieb ihr offen stehen, als er ihr den Schlauch wieder abnahm und versuchte, ihm noch einen Schluck abzupressen.
Über ihnen erscholl Haydens gedämpfter, aufgeregter Ruf: »Land! Ich sehe Land!« Alissa stand da, hin und her gerissen zwischen dem Drang, sich dem Jubel an Deck anzuschließen, und dem Bedürfnis, Connen-Neute zu schütteln, bis er ihr sagte, was geschehen war. »Was tust du denn da?«, fragte sie zornig, als seine goldenen Augen sich mühsam auf sie richteten. »Warum hast du mir nicht gleich gesagt, dass du sie gefunden hast? Du hast sie doch gefunden, oder nicht?«
»Hab sie gefunden«, sagte er langsam und blinzelte sie an wie eine Eule. »Sie sind da. Alle – jedenfalls die meisten. Ich habe ihre gedanklichen Signaturen gefunden.«
Frustriert ballte sie die Hände zu Fäusten. »Was tust du dann hier unten? Wir sollten ausfliegen und ihnen sagen, dass wir hier sind!«
Connen-Neute schüttelte den Kopf. Sie versuchte, ihm den leeren Schlauch zu entreißen, doch er ließ nicht los. Er stolperte, als sie beide an dem Ding
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